“Nein zum Euro”
Während man im Westen über den Beitritt Bulgariens zum Shengen-Raum debattiert, fallen die gleichzeitig stattfindenden Proteste gegen die Euroeinführung zum 1. Januar 2024 völlig hinten runter. Bereits am Samstag vergangener Woche gab es einen solchen Protest in der bulgarischen Hauptstadt, an dem etwa 3.000 Menschen teilnahmen, ich hatte hier darüber berichtet. Vorgestern gab es nun einen weiteren Protest, und zwar vor der “Paradise Mall” in Sofia. Die gibt es wirklich, ich war selbst schon einmal dort, allerdings nicht vorgestern. Da gab es dort eine Konferenz zum Thema “Bulgarien in der Eurozone”, der Anlass des erneuten Gegen-Protestes. Das Bulgarische Nationalradio (BNR) schreibt hier dies darüber: “Die Protestierenden durften die Halle nicht betreten.” Auch Kostadin Kostadinow, der Chef der Partei Wiedergeburt, die den Protest organisiert hat, kommt beim Bulgarischen Nationalradio zu Wort, und zwar ganz ohne den in Deutschland obligatorischen Zusatz “nationalistisch” oder “ultranationalistisch”: “Bei dieser privaten Veranstaltung sind Mitarbeiter des NSO, der Polizei, der Sicherheitsdienste und der privaten Sicherheit anwesend. Nur die Armee fehlt, und sie fehlt aus einem ganz einfachen Grund – weil es überhaupt keine Armee gibt. Ist das normal? Wie ist Ihre Meinung?, frage ich als Bürger. Hier am Eingang gibt es Leute, die entscheiden, wer reinkommt und wer nicht, also im Grunde mag ich dich, ich mag dich nicht. Wir wollen ihnen sagen, dass wir ein Referendum wollen, weil die überwiegende Mehrheit der Bulgaren die Zerstörung des Lewa nicht will. Sie stellen sich gegen den Staat und damit am Rande eines Bürgerkrieges.”
Kostadin Kostadinow, Chef der Partei “Wiedergeburt”
So weit zum Protest vorgestern, also am Freitag, vor der “Paradise Mall” in Sofia, zu dem ich wie gesagt nicht war. Weiter geht es mit dem Protest gegen die Einführung des Euro zum 1. Januar 2024 am Samstag vergangener Woche, bei dem ich anwesend war und von dem auch alle Aufnahmen in diesem Beitrag stammen.
“Ich wähle den Lewa” & “Ich wähle bulgarische Souveränität”
Der Protest begann vor dem bulgarischen Parlament und im Schatten des Reiterdenkmals (rechts oben im Bild). Hier hatten sich etwa 2.000 Menschen versammelt, es gab verschiedene Redner, unter ihnen auch Kostadin Kostadinow, der Chef der Partei “Wiedergeburt”. Kostadinow berichtete von dem kürzlich stattgefundenen Treffen von Vertretern seiner Partei mit Staatspräsident Rumen Radev, einem ehemaligen Militär-Piloten. Radev lehnte auf diesem Treffen den Vorschlag Kostadinows, über die Einführung des Euros ein Referendum abzuhalten, mit der Begründung ab, dass dies gegen die Verfassung verstoßen würde, weil die Einführung des Euro zum 1. Januar 2024 beschlossene Sache sei.
Vor dem Sitz des Europaparlamentes in Sofia
Vom Platz vor dem bulgarischen Parlament im Schatten des Reiterdenkmals ging es vorbei am Finanzministerium zum Sitz des Europaparlamentes in der Rakowski-Straße. Auf dem Weg wurden die Protestierenden nicht nur von Menschen aus ihren Fenstern oder von Balkonen herab unterstützt, sondern die Menge schwoll auch auf etwa 3.000 Menschen an. Das Europaparlamentsgebäude in der Rakowski-Straße ist eine protzige Stahlskelett-Konstruktion mit viel Glas, die nicht so recht in die Landschaft passen will. Insbesondere dann nicht, wenn man weiß, dass in vielen Gegenden Bulgariens ganze Dörfer verfallen. Die Protestierenden befürchten, dass sie der Beitritt zur Euro-Zone noch einmal ärmer machen wird, als sie es ohnehin schon sind, und dass es zu einem weiteren Ausverkauf des Landes kommt, wie wir es in Griechenland gesehen haben und bis zum heutigen Tage sehen. Viele Redner verwiesen auch auf den Umstand, dass es nicht wenige Länder gibt, die wie Bulgarien Mitglied der EU sind, aber aus gutem Grund nicht den Euro eingeführt haben, zum Beispiel Polen, die Tschechische Republik und Ungarn.
Ein Lidl-Supermarkt gegenüber vom Europaparlament
Die Inflation in Bulgarien dürfte mittlerweile bei 30 Prozent liegen, und das alleine in diesem Jahr. Immer mehr Menschen drehen den Lewa jetzt schon zweimal um, bevor sie ihn ausgeben. Die Einführung des Euros in Deutschland hat, der ein oder andere erinnert sich, uns damals alle ärmer gemacht, und zwar alleine dadurch, dass die Preise überall rasch aufgerundet wurden. Auf dem Protest am Samstag vergangener Woche in Sofia gab es bereits Menschen, die Angst vor Hunger hatten.
“Ich möchte Arbeit, keinen Hunger!”
Fotos&Text TaxiBerlin