Bericht aus Bulgarien (168)

Man muss das Leben tanzen

Bin gerade am Sachen packen, wobei Sachen packen reichlich übertrieben ist, denn ich reise nur mit Handgepäck. Ich komme mit einem Billigflieger nach Berlin, etwas anderes kann ich mir nicht leisten. Billigflieger zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass sie billig sind, sondern dass sie einem darüber hinaus tierisch auf die Nerven gehen, wie ein fliegender McDonald. Alles muss man dreimal lesen, denn sie wollen einem ständig noch irgendeinen Scheiß dazu verkaufen. Alleine, wenn man sich vorher nicht selbst eincheckt, ist die Gebühr, besser Strafe, noch besser Verarschung, dafür noch höher als der ganze Flug kostet. Das muss man sich mal vorstellen! Schlimmer als der Billigflieger sind nur noch die anderen Fluggäste, die mit einem im Flugzeug sitzen. Früher habe ich deswegen immer Alkohol getrunken, wenn ich geflogen bin – um die anderen Menschen zu ertragen, vor allem ihre Nähe. Gut, ein bisschen Flugangst war auch dabei. Aber jetzt habe ich Menschenangst, mit der ich ganz ohne Alkohol klarkommen muss. Regelrecht phobisch reagiere ich deswegen seit einiger Zeit insbesondere auf Menschenansammlungen. Sie haben meist nichts Gutes zu bedeuten. Und das wird noch schlimmer werden in der nächsten Zeit, davon bin ich fest überzeugt. Was dagegen hilft, ist mit tänzelnden Schritten durchs Leben zu gehen. Ich mache das schon seit Jahren und kann es nur jedem empfehlen. Auch und gerade in Bulgarien ist das extrem hilfreich. Denn hier muss man ständig um die vielen Löcher herumtanzen. Es gibt auch die passende Musik dazu, allen voran den Klassiker “Дупка до дупка” (“Loch bei Loch”). Und auch die entsprechenden Schilder (siehe oben). Nachdem ich morgen nach Sofia getanzt bin, kann mir kein Billigflieger-Wohlstandsgesindel mehr etwas anhaben. Wenn ich eines in Bulgarien gelernt, dann dass man das Leben tanzen muss.

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Bericht aus Bulgarien (167)

Tomaten statt Lolita

Ich bin jetzt auch einer von diesen Typen geworden, die kniend in ihrem Garten hocken und Unkraut zupfen. Ich habe auch eine Hacke (Foto), so ist es nicht, aber ich habe festgestellt, dass wenn man Unkraut samt Wurzeln rauszieht, dass das nachhaltiger ist. Und Unkraut zieht sich leichter, vor allem aber vollständiger, mit der Hand und kniend aus dem Boden. Wie gesagt, ich wollte nie so ein Typ werden – und jetzt bin ich genau so ein Typ geworden. Aber nicht nur das.

Darüber hinaus bin ich auch so ein netter älterer Herr geworden, der Frauen nachschaut, insbesondere jungen. Ich nenne das jetzt mal “Lolita-Syndrom”. Früher war das nicht schlimm, ganz im Gegenteil, die Frauen haben sich gefreut, oft kam man sogar mit ihnen ins Gespräch. Heute ist das anders, und das liegt nicht nur am Alter, dass auch ich älter geworden bin. Hässlich war ich ja noch nie (obwohl, mir wurde auch schon mal eine “anziehende Hässlichkeit” attestiert). Und überhaupt, ein Mann wird nicht älter, sondern nur reifer.

Und wurde uns nicht immer erzählt, man wäre so alt, wie man sich fühlt? So gesehen bin ich immer noch 27, wenn überhaupt. Aber erklär das mal einer Frau, mit der du nicht mal ins Gespräch kommst. Ins Gespräch komme ich deswegen nicht, weil ich jetzt schon ein Jahr hier abhocke, also nicht bei meinen Tomatenpflanzen, sondern in Bulgarien. Nach einem Jahr kommt man als Retter nicht mehr in Frage, selbst wenn man aus Deutschland kommt. Am Ende bleiben auch mir nur die Tomaten, um die ich mich kniend kümmere.

PS: Vielleicht schreibe ich aber auch noch einen Lolita-Roman. Oder besser einen Lolita-Tomaten-Roman. Man wird sehen. Es bleibt auf jeden Fall spannend.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (166)

“Zwischen der Macht und der Freiheit kann es keine Freundschaft geben.”
(aktuelles anarchistisches Graffito in den Straßen von Sofia / Bulgarien)

Aus meiner ersten großen Liebe konnte nichts werden, weil ihr Vater bei der Stasi war, ich aber Westverwandtschaft hatte und darüber hinaus umtriebig war, vor allem in meinem Denken. Ich war damals 16 und sie 15, und vor einiger Zeit haben wir uns wiedergetroffen, nachdem wir uns zuvor viele Jahre aus den Augen verloren hatten. Sie erinnerte mich daran, dass ich ihr damals vieles erklärt hätte, unter anderem auch den Anarchismus. Ich hatte das praktisch schon vergessen, obwohl es ein wichtiges Detail ist, das mit dem Anarchismus. Und ich fragte mich sogleich und frage mich immer noch, ob ich Anarchist bin. Immerhin gab es auch in Bulgarien, meiner zweiten Heimat, Anarchisten wie zum Beispiel Wassil Ikonomov. Dazu muss man wissen, dass mein Vater auch Wassil hieß und mein Vatersname Wassilev ist. Was Wassil, also Wassil Ikonomov, zu sagen hatte, nämlich dass es keine Freundschaft zwischen der Macht und der Freiheit gibt, das trifft heute noch zu. Wären Schwab und wie sie alle heißen Russen, so würde man sie Oligarchen nennen. Da sie es nicht nicht, dürfen sie ganz offen und auf der Bühne sagen, dass sie Regierungen “penetrieren” würden und niemand erregt sich darüber, obwohl auch Schwab & Co keine demokratische Legitimation haben. Sie haben einfach nur Geld und damit Macht. Und wenn sich Typen wie Scholz, der wie gesagt nicht mein Kanzler ist, mit ihnen Treffen, machen sie sogar noch einen Knicks vor ihnen, so wie Habeck, der auch nicht mein Vizekanzler ist, neulich noch vor dem Scheich, denn: “Nur der Scheich ist wirklich reich”. – Ich frage mich, wie Putin das wohl machen würde? Denn ich erinnere mich, dass Putin den einen Oligarchen, der nach der Macht strebte, sogar einsperren ließ. Als er, Chodorkowski war sein Name (offiziell ein russischer Unternehmer, früherer Oligarch” – was für eine wundervolle Metamorphose, vermutlich ist ein Deutscher drauf gekommen) wieder freikam, wurde er in Deutschland und da insbesondere in Berlin als Freiheitskämpfer gefeiert, obwohl er doch nur ein Oligarch war. So gesehen ist die Schwab-Hörigkeit des Deutschen nur folgerichtig. Geht es um Menschen(?) wie Schwab (“ehemals Unternehmer, jetzt Oligarch und Plutokrat” – wird bald ganz offiziell im Internet stehen), teile ich obige Aussage von dem bulgarischen Anarchisten Wassil Ikonomov. Aber die Frage, ob ich damit schon Anarchist bin, halte ich für eine typisch deutsche Frage, da sie vor allem eine Ablenkung ist, die von der eigentlichen Frage ablenkt. Und zwar die, ob wir überhaupt eine Demokratie oder eine Herrschaft von Oligarchen haben. Es gibt ernstzunehmende Stimmen in Amerika, die davon ausgehen, dass die USA keine Demokratie, sondern eine Herrschaft der Reichen, also eine Plutokratie sind. Und warum sollte es ausgerechnet in Deutschland, dem treuesten Vasallen der Amerikaner, anders sein?

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Bericht aus Berlin (1)

 

Ich bin noch nicht in der Heimat angekommen, da erreichen mich bereits die ersten Nachrichten aus dem Irrenhaus Deutschland. Nicht nur Menschen sollen, geht es nach dem deutschen Michel, immer und überall Masken tragen, sondern nun auch Kühe. Das berührt mich persönlich, weil ich auch schon einmal im Kuhstall gearbeitet und sogar Inhaber einer Melkberechtigung bin. Und jetzt überlege ich Kuh-Guerilla zu werden, und zwar ganz im Ernst. – Was Menschen Menschen antun, das ist eine Sache. Aber was Menschen Tieren antun, da hört der Spaß auf. Mit dem, was man in den letzten beiden Jahren Kindern angetan hat, ist eine Grenze erreicht. Was man nun auch Tieren anzutun gedenkt, ist sie damit definitiv überschritten. – Das ist meine Rote Linie, mein ganz persönlicher Rubikon.

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Bericht aus Bulgarien (165)

Manch einer mag es als Anmaßung empfinde, wenn ich Heinrich Heine zitiere, aber wenn es doch so ist, dass ich genau dasselbe empfinde, was er im Ausland gegenüber seiner Heimat empfunden hat: “Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht. Ich kann nicht mehr die Augen schließen, und meine heißen Tränen fließen.” Bei Heine waren es bereits zwölf Jahre, die er in Frankreich war, als er seine “Nachtgedanken” schrieb. Bei mir ist es immerhin eins, das ich in den Schluchten des Balkans und nicht wie Heine in Paris verbracht habe.

Deutschland ist mir fremd geworden in dem Jahr. War es damals vor allem die Hauptstadt, die den gesunden Menschenverstand zu verloren zu haben schien, so ist es heute das ganze Land. Allen voran seine Regierung. Um es ganz klar zu sagen: Scholz ist nicht mein Kanzler, genauso wenig wie Baerbock meine Aussenministerin und Habeck mein Vizekanzler sind, ganz zu schweigen von Lauterbach. Er ist die größte Witzfigur von allen. Für ihn schäme ich mich am meisten, aber auch für alle anderen. (Ich höre förmlich schon die Fragen unserer Kinder und Enkelkinder: Wie konntet ihr euch von solchen Witzfiguren regieren lassen? Und ich habe auch schon die Antwort: Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient!)

Ich frage mich, wann der deutsche Michel endlich aufwachen will. Jetzt wäre die Zeit dafür, so denke ich. Oder wird es, wie bei Heine, noch elf Jahre dauern? Müssen vorher noch sämtliche Affen und Schweine durchs deutsche Dorf getrieben werden? Meine Antwort lautet immer öfter: Ja! An ein Aufwachen des dummen Deutschen glaube ich ehrlich gesagt nicht mehr – im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass spätestens im Herbst die deutschen Blockwärte ihre Schlagstöcke wieder auspacken und ihre schwarzen Uniformen erneut anlegen werden.

Schon jetzt möchte ich allen Landsleuten meinen Rat mit auf den Weg geben: Hilf deiner Polizei – schlage dich selbst! Schließe dich schon jetzt ein, damit es nicht deine Regierung für dich tun muss. Und mache vor allem alles, was man dir sagt und ohne Widerspruch. Seit Artig und gehorche. Stelle auch weiterhin keine Fragen, du bist doch bisher gut gefahren damit. Denke vor allem nicht selbst. Das kann böse ausgehen. Schneller als du dich versiehst, findest du dich wie Heine (und ich) im Ausland wieder. Und das wird dir nicht gefallen, das kannst du mir glauben, auch wenn Heine (und auch ich) das noch anders sah (sehe):

“Gottlob! durch meine Fenster bricht französisch heitres Tageslicht. Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen und lächelt fort die deutschen Sorgen.”

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Bericht aus Bulgarien (164)

Die Puppen tanzen lassen in Sofia

Eines hatte ich vergessen zu erwähnen, und zwar dass aus dem Sahnehäubchen, dem persönlichen Bekanntmachen mit dem Verleger des “Ost-West-Verlages” gestern auf der Buchmesse in Sofia nichts geworden ist. Der Verleger war zu erschöpft. Es kann sehr anstrengend sein in diesen Tagen Verleger zu sein, insbesondere wenn der Verlag “Ost-West-Verlag” heißt. Der in Sofia ansässige “Ost-West-Verlag” ist auf Psychologie und Philosophie spezialisiert und bringt gerade hochbrisante Sachen raus, wie beispielsweise “Was tun?” von David Engels, “Endspiel des Kapitalismus” von Norbert Häring und “Schöne Neue Welt 2030” von Ulrich Mies, und möglicherweise demnächst ein Buch, auf das ich meinen besten bulgarischen Freund und Übersetzer Martin aufmerksam gemacht hatte, und der wiederum seinen Verleger. Der hat auch schon dem Verlag in Deutschland ein Angebot gemacht. Wenn der deutsche Verlag das Angebot annimmt, dann ist dieses Buch das nächste, was Martin übersetzen wird. Da die Antwort noch aussteht, will ich nicht verraten, um welches Buch es sich handelt. Das bringt Unglück. Aber hätte der “Ost-West-Verlag” schon die Antwort, dann hätten wir gestern garantiert die Puppen tanzen lassen in Sofia. So konnten wir es nicht, und ich muss auf ein Foto zurückgreifen, das ich bereits vor mehr als zwei Wochen im BOOM Cabaret Sofia gemacht habe. Martin, der an diesem Abend der “Junge für Alles” in diesem Club war, hatte mich kostenlos reingelotst. 25 Lewa (12,50€) hätte ich nie und nimmer für diesen Quatsch aufgegeben, sieht man mal von der jungen Frau in Rot in den Seilen ab. Der Rest war eine Burlesque-Show von Menschen, die nicht wissen, ob sie männlich oder weiblich sind, oder genauer: männlich oder weiblich sein sollen – was sich gerade besser verkauft. Martin meinte nach der Show zu mir, dass ich auf keinem Fall dem Autor, dessen Buch er vermutlich als nächstes übersetzen wird, davon erzählen darf, dass er sein Geld auch als “Junge für Alles” in solchen Shows verdient, um sich und seine junge russische Frau durchzubringen, die auch gerade noch schwanger ist. Dieses Detail muss also unter uns bleiben. Dass wir auch schon vor zwei Wochen nicht wirklich die Puppen tanzen lassen haben, wie das obige Foto vermuten lässt, das kann dagegen jeder wissen.

PS: Das interessanteste für mich an der Show war, dass sie nahezu ausschließlich von Frauen besucht war. Woran das wohl wieder lag? Vielleicht daran, dass in Bulgarien einmal mehr alles umgedreht ist?

PPS: Immerhin ist beim “Jungen für Alles” klar, “um wessen Geschlechtes Kind” es sich handelt.

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Bericht aus Bulgarien (163)

Garderobe für’s letzte Hemd
(BOOM Cabaret Sofia / Bulgarien)

Ich erfahre gerade, dass es immer mehr Landsleute geben soll, deren Motto “Deutschland hat fertig” ist, und die deswegen der Heimat den Rücken kehren. Montenegro als Auswanderungsland, über das ich an dieser Stelle berichtet hatte, ist da nur ein Beispiel. Eben habe ich einen Bericht aus der Türkei gesehen, Alanya soll voll von Allemany mit Money sein. In dem Zusammenhang muss ich an eine Aussage denke, die einige Jahre zurück liegt und die, so weit ich mich erinnere, von Friedrich Merz war. Friedrich Merz meinte damals, dass derjenige, der für sich ein Leben lang Deutschland gebucht hätte, selbst dran Schuld wäre. Und er sollte Recht behalten. Denn Auswandern können nur die, die es sich leisten können. Und das merkt man den Berichten der deutschen Auswanderer auch an. Es sind allesamt Business-Typen, die weder mit dem Land, noch mit der Sprache des Landes, in das sich ausgewandert sind, etwas am Hut haben. Alle anderen, also Menschen ohne Geld, müssen zu hause bleiben, selbst wenn sie Orts- oder gar Sprachkenntnisse haben. Das ist nicht schön, war aber schon immer so. – Ich gehe am Mittwoch “mal wieder” den entgegengesetzten Weg, denn da fliege ich von Sofia nach Berlin. “Mal wieder” deswegen, weil ich dafür bekannt bin, immer das Gegenteil von dem zu machen, was alle machen, getreu dem Berliner Motto: “Worum geht’s? – Ich bin dagegen!” Das ist aber nur auf dem ersten Blick so. Die Wahrheit ist, dass ich nach Berlin gehe, um “meinen Laden” dort aufzulösen. Ich plane alles, was ich habe, zu verkaufen, auch das letzte Hemd, weil ich wie gesagt denke, dass Friedrich Merz recht hatte. Wer von denjenigen bedauernswerten noch in der deutschen Hauptstadt Verbliebenen zu denen gehört, die dachten ein Leben lang Deutschland gebucht und damit auf der sicheren Seite zu sein, der kann sich gerne in “meinem Laden” bedienen. Zu verschenken habe aber auch ich nichts, immerhin arbeite ich gerade an einem Business-Plan. Aber ich will die Sachen auch loswerden. Wem also noch dies oder jenes oder gar das letzte Hemd bei seiner Buchung fehlt, der kann gerne bei mir vorbei schauen. Der Preis ist verhandelbar. Das kommende sozusagen, denn in Zukunft werden wohl immer mehr sicher geglaubte Dinge Verhandlungssache sein. Was ich nicht mache, ist tauschen, obwohl auch das das Kommende ist. Dass ich es nicht mache, liegt daran, dass ich die Kohle brauche, oder wie Frank Zappa in weiser Voraussicht sang: “We are only in it for the money”.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (162)

Lebst du noch oder genderst du schon?

Gestern war ich nicht nur auf der Buchmesse, sondern auch am letzten noch existierenden Buchstand der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Der letzte verbliebene Buchstand befindet sich in einem kleinen Park vor dem Hotel Rila. Letzter verbliebener Buchstand deswegen, weil er der einzige Buchstand ist, der vom großen Buchbasar auf dem Slaweikow Platz übrig geblieben ist. Den Buchbasar hat man vor Jahren platt gemacht, wobei platt gemacht es nicht ganz genau beschreibt. Platt gemacht hat man den Slaweikow Platz, sprich tot saniert. Und nachdem man den Slaweikow Platz tot saniert hat, hat der Buchbasar einfach nicht wieder aufgemacht. Das ist nur folgerichtig, denn auf etwas totem wachsen weder Grass noch Bücher. Ein Freund von mir, ein Bücher-Narr wie ich, der einen Stand auf dem Slaweikow Platz hatte, ist bald darauf gestorben. Auch das nur folgerichtig, so denke ich. Einer hat überlebt, ist umgezogen, um die Ecke, vor’s Hotel Rila. Bei ihm fand ich gestern obiges Buch. Und da habe ich mich sogleich gefragt, ob es denn überhaupt noch Muttersprache heißt? Oder vielleicht schon Elternteil Eins Sprache, oder vielleicht Zwei? – Auf der Buchmesse war ich auch. Ihre Stände wurden am Abend abgebaut, sie gibt es also auch nicht mehr. Die Buchmesse selbst war vor dem Nationalen Kulturplast und vergleichsweise langweilig. Die Buchmesse war aus verschiedenen Gründen langweilig. Erst einmal musste man sich durch Tonnen von Müll durcharbeiten, bis man mal ein Buch gefunden hatte, was irgendwie interessant war, und das obwohl praktisch alle Bücher neu waren. Es gibt eben auch neuen Müll, selbst in Bulgarien. Dann wollten alle nur übers Verkaufen reden und niemand über Bücher. Praktisch so, als wäre man in einem irgendeinem Ort für blöde Touristen am Schwarzen Meer. Dort soll man auch ständig ein Armband, einen Ring oder ein T-Shirt kaufen. Die sind zwar auch neu, aber eben auch Müll. Und übers Meer will dort ja auch keiner reden. Etwas Positives gibt es dann aber doch zu berichten. Eine Sprachverhunzung wie in Deutschland gibt es in Bulgarien nicht. Der Bulgare mag einen unbewussten Todeswunsch haben, er drückt sich unter anderem in seinem Fahrverhalten aus, aber keinen Selbsthass. Beim Bulgaren heißt Muttersprache auch heute noch Muttersprache und irgendwelche Sternchen oder auch nur ein Binnen I sucht man hier vergeblich, selbst in neuen Büchern.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bremen (8) in Bulgarien (4)

Am Schwarzen Meer in Bulgarien

Seit einer Woche sind wir nun in Bulgarien. Am vergangenen Freitag landeten wir in Sofia, fuhren Samstag zu Rumen und aus den Schluchten des Balkans weiter nach Veliko Tarnovo, der Stadt der Helden und anschließend nach Kalofer ins Tal der Rosen. Mittlerweile sind wir in einem familiengeführten Hotel an der Küste des Schwarzen Meeres, im Örtchen Sozopol. Übrigens: Das Meer hier ist türkisfarben, kein Schwarz weit und breit! Das Hotel war nicht leicht zu finden, wir mussten durch kleine Gassen und einen beschrankten Durchlass, wo man uns mitteilte, dass das Befahren der Altstadt pro Tag 24 Lewa kostet.

Bevor wir jedoch die 256 km bis Sozopol zurücklegten, machten wir noch einen Abstecher zu einer der größten Rosen-Destillerien Bulgariens. Auch diese war zwar ausgeschildert, doch am Ende nicht zu finden. Es fehlte das Schild „Ich bin die Destillerie“ an der Mauer, die sich rund um das Firmengelände schlängelt. Erst als wir parkten und zum Holztor gingen, fanden wir eine Plakette mit dem Hinweis auf das, was hinter Mauer und Tor zu finden ist.

Eine junge Bulgarin empfing uns mit sehr gutem Englisch und machte sich gleich mit uns auf den Weg in die Destillerie, wo wir beobachten konnten, wie die angelieferten Rosenblüten aus großen Säcken in die Stahlbehälter geschüttet wurden. Im nachfolgenden Siedeprozess wird sowohl Rosenwasser als auch Rosenöl gewonnen. Neben dem Gebäude lieferten die Rosenpflücker/-innen ihre gefüllten Säcke ab. Sie hatten um vier Uhr morgens mit der Ernte begonnen und fuhren nun vor, um den Ertrag wiegen und verbuchen zu lassen.

Rund um die Destillerie roch es intensiv nach Rosen, noch stärker als wir in das Innere des Gebäudes kamen. Hier waren die Destillierbehälter zu sehen, deren Zu- und Abfluss mittels Sensoren und speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS, Siemens, SIMATIC) mit dem Firmennetzwerk verbunden waren. Ein kleiner Monitor zeigte jede Temperaturschwankung und reagierte prompt, wenn es irgendwo Unregelmäßigkeiten gab mit einem roten Warnhinweis.

Kerstin interessierte sich für alles rund um die Rosen, ich war fasziniert von der Verbindung eines über 100 Jahre alten Herstellungsverfahrens mit der Technik aus dem 20. Jahrhundert, gemeinhin bekannt unter dem Begriff Industrie 4.0. Natürlich kauften wir auch das ein oder andere, unter anderem 60-jähriges Rosenöl. Angeblich reift dies mit dem Alter. Rosenöl soll nicht nur gut riechen, sondern auch helfen bei Atemwegserkrankungen oder Strahlenschäden, so wurde uns erzählt. Man muss es auftragen oder inhalieren.

Hoffentlich lesen dies nicht zu viele Menschen, sie könnten auf die Idee kommen, statt der experimentellen Vakzine gegen Covid-xyz es mal mit experimentellen Rosenölinhalationen zu versuchen, die weniger Nebenwirkungen haben. Wer mehr über diese Destillerie erfahren möchte, kann dies über die (englischsprachige) Homepage tun.

Unser Reiseführer empfiehlt den Strand im Örtchen Sinemorets. Dieser liegt südlich von Sozopol und ist in 45 Minuten zu erreichen. Wir also machen uns auf die Suche nach diesem Ort, erfahren die Landstraßen entlang der Küste und dürfen feststellen, dass die für Landstraßen vorgesehene Höchstgeschwindigkeiten von 90 km/h an den wenigsten Stellen gelten, da ständig auf 60 oder gar 40 km/h runterreguliert wird wegen steiler Kurven oder Ein- und Ausfahrten. Dem Bulgaren in seinem PS starken SUV ist dies eh egal und wenn man sich mit Mietwagen daran hält, dann wird man entsprechend oft überholt.

Von den Schlaglöchern, die so häufig seien auf Bulgariens Straßen habe ich auch auf dieser Strecke nicht übermäßig viele erlebt. Meist lässt sich am Fahrverhalten der vorausfahrenden Pkws erkennen, wo man ausweichen sollte. Es waren wirklich nicht viele, die sind eher auf den sehr kleinen Straßen, auch in den Städten, zu finden. Ein richtig großes Loch begegnete uns auf einer Autobahnauffahrt, da war ich froh, es noch im letzten Moment gesehen zu haben, um drumrum zu kommen.

In Sinemorets angekommen, haben wir uns erst mal mit Brot (sehr weich), Frischkäse und Wurst (geschmacklos) eingedeckt und einen Platz gesucht, wo wir in Ruhe Picknicken konnten. Den fanden wir dann auch, mit Blick aufs Meer und ein paar Pferden, die hier frei rumlaufen. Anschließend gings weiter an den Strand, der uns empfohlen wurde und tatsächlich entpuppte sich dieser als leer und idyllisch. Es gab richtige Wellen und keine so mickrigen Andeutungen von Wasserbewegung wie es die Nordsee zeigt (wenn sie denn mal da ist).

Diesmal war es nicht High Noon als wir unterwegs waren, dennoch war es heiß und windig. Was gefährlich ist, da dann die Sonne nicht so arg zu spüren ist und erst am nächsten Morgen sich zeigt wie unvernünftig man war. Nun, wir werden es sehen und spüren. Sinemorets ist wirklich empfehlenswert, nicht nur wegen des idyllischen Strandes, sondern auch wegen der unaufdringlichen Bevölkerung, dem fehlenden Tourismus. Es gibt hier zwar auch Hotels, doch fallen diese nicht besonders auf und die Landschaft ist nicht so zugebaut wie weiter oben im Norden der Küste.

Auf dem Rückweg haben wir noch einzelne Orte an der Küste angefahren und uns dort umgesehen. Alles sehr nett und unverdorben. In einem Ort, ich glaube es war Varvara, da stiegen wir aus, nur um von einer Aussichtsplattform das Meer zu sehen. Neben dieser Plattform gab es ein altes Schild, das verwies auf ein Fisch-Restaurant. Als wir davor längere Zeit standen und versuchten das Schild zu entziffern, kam ein alter Mann heraus.

In seinem Blaumann sah er aus wie ein Handwerker, der gerade bei der Arbeit war. Er sprach uns an, sagte, dass ihm nur Helfer fehlten, Studenten, die den Service für ihn machten, doch es gäbe keine zu finden. Wir müssten mit ihm kommen, in sein Restaurant, wo er uns die Aussicht zeigen wolle. Die hatten wir zwar zuvor schon wahrgenommen, doch nun, warum nicht. Wir also hinter ihm her ins sein Restaurant, das sich als Werkstatt, Lager und Wohnraum entpuppte. Überall lagen Werkzeuge herum, Verpackungsmaterialien, Baumaterial und Möbel. Auf der Verranda angekommen, erzählt er uns, dass er in „Pension“ sei, dass er mit 67 in Pension gekommen sei und schon mal in Berlin war, damals zur Zeit des Kommunismus.

Und wir haben ihn verstanden, ohne ein Wort Bulgarisch zu verstehen. Er sprach in wenigen Brocken Englisch, dann wieder in Bulgarisch, dann zeichnete er mit den Fingern Zahlen auf den Tisch und sprach die bulgarischen Worte dazu. Wir natürlich ebenso, mit Zahlen auf den Tisch mein Alter, mit Zeichnung in der Luft die Lage Bremens in Relation zu Berlin und Hamburg. Geht. Geht alles ohne Übersetzungsgerät! Wir verabschiedeten uns voneinander und machten uns auf den Weg zurück nach Sozopol. Dort gabe es eine längere Suche nach einem empfohlenen Fisch-Restaurant, doch haben wir es nicht gefunden. Und man sollte nicht hungrig nach einem Restaurant suchen, denn dann wird man ungeduldig, ungehalten und unruhig, eben einfach nur „un“.

Letztlich landeten wir bei einem Griechen. Und da wir wussten, dass man in Bulgarien oftmals alle Speisen auf einmal erhält, egal in welcher Reihenfolge bestellt wurde, bestellten wir erst nur einen Salat. Es aber auch passieren, dass in Bulgarien die Gerichte so zum Tisch gebracht werden, wie sie aus der Küche kommen. Ist der Salat fertig, dann wird dieser raus gebracht. Ob das dazu bestellte Brot (ohne Bestellung gibt’s kein Brot) dabei ist, spielt keine Rolle. Das Brot gibt es dann eben später. Meist dann, wenn der Salat schon aufgegessen wurde. Manchmal ist aber das Hauptgericht schon auf dem Tisch, für die eine Person, und irgendwann später kommt der Salat.

Vielleicht liegt vorher schon das Brot vor einem. Es ist nicht immer der selbe Ablauf, also kann auch alles umgekehrt sein, wie so oft in Bulgarien. Alles umgekehrt. Nun, wir bekamen unseren Salat, der schmeckte sehr gut, dann kam das Brot. Und dann unser Clou: wir verlangten erneut die Menükarte und bestellten ein Hauptgericht für jeden. Also Kerstin Fisch, Red Mullet, was auf deutsch Rotbarbe heißt und ich Chicken, weil ich mich auf keine Experimente einlassen wollte. Die Rotbarbe gibt es nicht nur im Mittelmeer und Atlantik, sondern auch im Schwarzen Meer, das eigentlich Türkises Meer heißen müsste, wenn es nach mir ginge.

Morgen fahren wir weiter nach Plovdiv, dort erwarte uns wieder eine Führung durch die Stadt. Und dieses Mal haben wir uns vorgenommen, der Stadtführerin zu sagen, sie möge uns verschonen mit Zahlen, Namen, Kriegen und Heroen. Uns interessiert mehr, was sie persönlich mit den Plätzen und Orten in ihrer Stadt verbindet. Mal sehen, ob sie was darüber erzählen wird.

Foto&Text JoachimBremen

Bericht aus Bulgarien (161)

Boulevard “Vitosha” / Sofia (Bulgarien)

Das ist jetzt definitiv der letzte Beitrag von mir heute. Das Internet, das dank des Smartphones meines Lesers Joachim aus Bremen nun jederzeit in meiner Hütte verfügbar ist, ist eine große Verführung für mich. Einerseits verständlich, nachdem ich es ein Jahr lang “entbehren” musste. Ja, es ist jetzt ziemlich genau ein Jahr her, dass ich in Bulgarien und damit ohne permanent verfügbares Internet bin. Wenn es eines Beweises bedurfte, dass dies möglich ist, dann habe ich ihn erbracht.

Es gibt auch noch ein anderes Jubiläum, denn es ist jetzt genau vier Jahre her, dass ich trocken bin, dass ich dem Alkohol komplett entsagt habe. Auch das ist möglich, und ich fühle mich sehr gut dabei, sowohl körperlich als auch seelisch. In “Nüchtern” von Daniel Schreiber habe ich gelesen, dass man fünf Jahre braucht, um wieder man selbst zu werden. (Übrigens das beste Buch, das ich zum Thema gelesen habe, weswegen ich es sogar zweimal gelesen habe, einmal von vorne nach hinten und dann nochmal von hinten nach vorne, also Kapitelweise.)

Die fünf Jahre sind noch nicht vorbei, ich bin also noch nicht am Ziel, und vielleicht werde ich es auch nie sein. Ich denke, “Werde, der du bist”. – ein Motto von Nietzsche, bei dem er sich bei dem Griechen Pindar bedient hat, ist eine Lebensaufgabe. Sie wird uns demzufolge ein Leben lang begleiten, bis zu unserem Ende. Manch einer wird dabei auf der Strecke bleiben, in (s)einem falschen Leben, vermutlich mit das schlimmste, was einem passieren kann im Leben.

Was mir gerade passiert, ist auch schlimm, aber nicht so schlimm wie “Das falsche Leben”. Ich muss mich wirklich in Acht nehmen, dass ich die eine Sucht, den Alkohol, nicht durch die andere, das Internet, ersetze. Das ist kein Quatsch, denn die Summer aller Süchte ist immer gleich, zumindest gefühlt, und wenn man nicht aufpasst. (Das mit der Summe ist auch ein Running-Gag bei den Anonymen Alkoholikern, aber nicht nur. Der Running-Gag von Jerry und mir folgt sogleich.)

Auch deswegen werde ich morgen nach Sofia fahren, und sowohl das Notebook, als auch das Smartphone hier lassen. Ich werde mich nicht alleine, sondern zusammen mit meinem besten englischen Freund Jerry in die bulgarische Hauptstadt begeben, und darauf freue ich mich schon jetzt, denn Jerry und ich sind seit dem vergangenen Jahr in einem intensiven Austausch, der für uns beide wichtig ist, so denke ich, vielleicht sogar existenziell wichtig, aber who knows?

Jerry, der in einem Nachbardorf wohnt, und ich haben viel Spaß miteinander. Unser liebster Running-Gag ist: “Don’t trust the mayor!” – Dazu muss man wissen, dass mein Bürgermeister nicht nur mein Bürgermeister, sondern auch mein Freund ist. Zu Jerrys englischem Humor kommt hinzu, dass er am liebsten Deutscher wäre. Ich finde das einerseits irre, andererseits aber auch verständlich.

Wenn der Deutsche nicht so bescheuert wäre mit seinem permanenten sich schuldig fühlen, das sich unter anderem in seinem Zwang zur politischen Korrektheit und dem Verhunzen seiner eigenen Sprache ausdrückt und regelrecht selbstzerstörerisch sein kann – aber nicht nur für ihn selbst, sondern auch und vor allem für andere, seinem duckmäuserischen Gehorsam und seiner übergroßen Angst, dann könnte er wirklich Großes vollbringen.

Aber so bleibt es bei dem, was schon Nietzsche über ihn gesagt hat: „Ein Deutscher ist großer Dinge fähig, aber es ist unwahrscheinlich, dass er sie tut: Denn er gehorcht, wo er kann, wie dies einem an sich trägen Geiste wohl tut.“

Jerry, der eigentlich Musiker ist, hat durch mich seine Liebe zum Lesen (und neuerdings auch zum Schreiben) wiederentdeckt, und ich bin durch ihn in meiner Affinität zu klassischer Musik bestätigt wurden. Der Hauptgrund, dass wir morgen zusammen nach Sofia fahren, ist der, dass dort gerade eine Buchmesse stattfindet, die wir besuchen wollen.

Dann will ich mich noch mit meinem besten bulgarischen Freund und Übersetzter Martin und natürlich auch mit meinem alten Bekannten, den Dudelsackspieler treffen, und wenn es klappt auch noch den Verleger vom “Ost-West-Verlag” kennenlernen, für den Martin arbeitet. Das wäre sozusagen das Sahnehäubchen. Aber auch wenn aus dem Kennenlernen nichts werden sollte, wird es ein Abenteuer werden, ein Balkan Road Movie, aber eben eins ohne Internet und Smartphone.

In dem Zusammenhang kann ich mich nur nochmal wiederholen: Ein Leben ohne Internet und Smartphone ist nicht nur möglich, sondern auch lebenswert. Ich kann nur jedem empfehlen, es mal auszuprobieren, beispielsweise in Bulgarien.

Foto&Text TaxiBerlin