Der ehrliche Makler von Bulgaristan

Greif zu, bevor es jemand anders tut!

Genau in dem Moment, als vor 20 Jahren in New York die Twin Towers einstürzten, bin ich in Berlin vom Fahrrad gestürzt. Ein Auto hatte mich in Kreuzberg vom Rad geholt, ich war drei Monate aus dem Verkehr gezogen und konnte also auch kein Geld verdienen. Da ich bei dem Unfall ohne Schuld war, bekam ich immerhin Schmerzensgeld. Von diesem Geld, Schmerzen haben manchmal auch was Gutes, habe ich mir meine Hütte in den Schluchten des Balkans gekauft. Hütte ist dabei die absolut zutreffende Bezeichnung für das, was seither die Erweiterung meiner Berliner Bohemen Bude ist.
Heute würde für eine solche Hütte in den Schluchten des Balkans ein Fahrradunfall in Berlin nicht mehr reichen. Das liegt daran, dass seither so einige eine neue Bleibe in Bulgarien gesucht haben, vor allem Engländer, aber auch Amerikaner und Deutsche schauen sich hier um, und mit jedem Tag werden es mehr. Denn seit einiger Zeit dürfen auch Ausländer in Bulgarien Immobilien besitzen. Das war vor 20 Jahren noch anders.
Die Nachfrage nach Bohemen Buden in den Schluchten des Balkans hat also enorm zugenommen, das Angebot ist aber eher kleiner geworden. Und das, obwohl es jetzt mehr leerstehende Hütten gibt als damals, denn immer mehr Bulgaren verlassen ihre angestammte Heimat und suchen im Ausland nach Arbeit und Auskommen. Man spricht in dem Zusammenhang in Bulgaristan, wo es für die wenigen Verbliebenen immer mehr ums Überleben als um Leben geht, auch nicht von Emigration sondern von Evakuierung.
Waren es früher nur einzelne Häuser, die leer standen, so sind es heute ganze Dörfer. Auch wenn die Zahl derjenigen, denen Berlin zunehmend auf die Nerven geht, enorm zugenommen hat, dürfte immer noch für jeden von ihnen etwas dabei sein in Bulgarien. Nur, und das ist der Haken, sie stehen nicht zum Verkauf. Das liegt daran, dass der Bulgare an seiner Scholle hängt. Für wen Berlin nur eine „Base“ ist, der kann das natürlich nicht nachvollziehen, aber die bulgarische Seele tickt anders.
Bevor der Bulgare sein Stückchen Erde, auf dem vielleicht noch die Hütte steht, in der er einst geboren wurde, für ’n Appel und ’n Ei verkauft, behält er sie lieber, auch wenn sie verfällt, weil er nichts an ihr machen lässt. So ist die Situation vielerorts in Bulgarien, wo es aber für jedes Ding, und so auch für dieses, eine Lösung gibt. Die Lösung hier lautet: Wenn du Problem hast, das du nicht lösen kannst mit Geld, kannst du nur lösen mit viel Geld.
Dazu muss man wissen, dass viel Geld in Bulgarien nicht automatisch viel Geld in Deutschland bedeutet. Wenn ich, um nur ein Beispiel zu machen, für meine Hütte mit einem Fahrradunfall bezahlt habe, so sind heute, damit der Bulgare sich von seiner Scholle trennt, drei oder vier Fahrradunfälle nötig. Aber hey, die meisten Menschen verdienen ihr Geld nicht mit Fahrradunfällen. Das war jetzt nur ein Beispiel!
Ich schreibe diesen Beitrag auch im Namen meines Bürgermeisters, mit dem zusammen ich als letzter verbliebener Einwohner unser Dorf bewohne. Mein Bürgermeister weiß nicht nur, welche Hütte von wem verlassen wurde und wo er ihn findet, sondern kennt auch die Höhe des Schmerzensgeldes (früher sagte man Abstand dazu), für das der (noch) Eigentümer bereit ist, sich von seiner heimischen Scholle zu trennen. Darüber hinaus meldet mein Bürgermeister dich gerne als neuen Einwohner in unserem Dorf an. Das hat er für mich auch gemacht. Die Anmeldung kostet dich auch nichts, nur Nerven.
Dass das Schmerzensgeld, also der Abstand, für den der Bulgare bereit ist, sich von seiner Bohemen Bude auf dem Balkan zu trennen, heute höher ist als damals, als in New York die Twin Towers eingestürzt sind, und ich in Berlin vom Fahrrad gefallen bin, ist der Lauf der Dinge. Dafür kann ich nichts, auch wenn ich als ehrlicher Balkan-Makler jetzt davon profitiere. Dafür kannst auch du Hauseigentümer werden, was in Berlin, wovon vielleicht auch du die Schnauze voll hast, für dich ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Hinzu kommt, sozusagen als Bonus, dass hier niemand auf Abstand achten muss. Ganz einfach, weil nur wir beide, also nur mein Bürgermeister und ich, hier leben. Meinen Bürgermeister habe ich auch noch nie mit Maske gesehen, ich habe sie mir Anfangs nur aus Angst vor dem Berliner Maskenmob aufgesetzt, den es hier aber nicht gibt. Es gibt hier auch keine Polizei und auch kein Ordnungsamt. Mein Bürgermeister ist gleichzeitig Dorf-Sherriff und ich sein Deputy. Last but not least: Du brauchst auch keine Impfung, und so wie es aussieht, wird das auch so bleiben. Vorausgesetzt es kommen nicht zu viele, dass unser Dorf wie Berlin wird. Das wollen wir auf keinen Fall!
Foto&Text TaxiBerlin

Von Menschen, Boxen und Pferdeboxen

 

Mit einem blauen Auge davongekommen

„Living In The Box“ war ein großer Hit der Fine Young Canibals vor gut 30 Jahren, also zu Wendezeiten. Es dauerte nicht lange, da fand ich auf der Straße, meiner Universität, die Antwort auf den Song der Feinen Jungen Kannibalen: „You Must Come Out Of Your Box!“ Bald darauf tauchten plötzlich ausgerechnet auf den Straßen vom Landkreis Schönefeld Schilder auf, auf denen nur ein Wort stand: „Pferdeboxen“. Boxen jetzt schon Pferde, fragte ich mich sogleich. Ich muss dazu sagen, es war damals die Zeit, wo alles möglich war, zumindest in Berlin. In Schönefeld boxten natürlich keine Pferde, sondern es wurden Boxen angeboten, die man für sein Pferd mieten konnte. Neulich hörte ich, dass in Schönefeld Menschen in Boxen müssen. Ob das jetzt die selben oder nur die gleichen Boxen sind, wie man sie damals für sein Pferd mieten konnte, kann ich nicht sagen. Was ich weiß, ist, dass Menschen jetzt bei Großveranstaltungen wie Konzerten in Boxen müssen. Am Wochenende kann es vorkommen, dass Menschen in Berlin auf der Straße geboxt werden, und zwar genau dort, wo neulich noch die selben, möglicherweise auch nur die gleichen Menschen im Rahmen einer Großveranstaltung ausgelassen feiern durften, ganz ohne Boxen und auch ohne geboxt zu werden.
Foto&Text TaxiBerlin

Wer nicht von Sektenführern geführt möchte, muss mörderische Affekte aushalten können

 

Nach der Wahl ist möglicherweise vor der Wahl in Bulgarien. Es kann durchaus passieren, dass hier im Herbst zum dritten Mal gewählt werden muss. Das Balkanland ist derzeit jedenfalls ohne Führung. Im Gegensatz zu Deutschland, das von Sektenführern geführt wird. Das meint zumindest Hanz-Joachim Maaz in obigen Interview, das so klingt, als wäre es in Bulgarien aufgenommen, das die “schlechteste” Impfquote hat und gleichzeitig kaum noch Corona-Tote, obwohl das Land voll ist von alten Leuten, die bekanntlich besonders gefährdet sind. Doch zurück zum Interview mit Hans-Joachim Maaz, der mir auch schon mal in Berlin im Taxi saß, als ich noch Taxi gefahren bin, und der sagt, dass der, der nicht von Sektenführern geführt werden möchte, mörderische Affekte aushalten können muss. Die kann ich auf jeden Fall bestätigen. An Sektenführer, die es sicherlich gibt, wenngleich gerade nicht in Bulgarien, habe ich andere Ansprüche.

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Text TaxiBerlin

„Unwissenheit ist Stärke“*

Das Navi – Der neue Volksempfänger

Wir leben in einer Zeit des lebenslangen Lernens, so wurde und wird es uns erzählt, praktisch bis heute. Diese Ära ist dabei zu Ende zu gehen, und das Taxi fährt voran.

Demnächst soll ein jeder sich hinters Taxilenkrad setzen dürfen, auch wenn er nicht eine Straße oder auch nur ein Platz kennt. Sollte er doch einmal danach gefragt werden, wird die Antwort die sein, die es in Amerika zum Running-Gag der gesamten Dienstleistungsbranche geschafft hat: „I don’t know, I’m just working here!“ – Frage also in Zukunft nicht den Taxifahrer nach irgendetwas in der Stadt, sondern sei froh, wenn er das Autofahren beherrscht!

Es wird „gute“ Gründe geben, warum Nichtwissen plötzlich toll sein soll, auch wenn sich diese mir nicht erschließen wollen. Ich habe keine Ahnung, wie man solche Leute heute nennt, früher nannte man sie Ewiggestrige, und ich gehöre definitiv zu ihnen. Das war nicht immer so. Früher glaubte beispielsweise auch ich, dass der Kapitalismus vor allem eines braucht: dumme Konsumenten. Auch wenn ich es nicht beweisen konnte, so erschien es mir doch logisch, zumindest theoretisch. Diese einstige Theorie wird gerade endgültig in die Praxis umgesetzt, wir waren damals nur der Zeit voraus.

In Zukunft kann es passieren, du kommst am Berliner Hauptbahnhof an, steigst dort in ein Taxi, in dem der Taxifahrer, bevor er die Fahrt beginnen kann, in sein Navi das Brandenburger Tor, dein Fahrziel, eingeben muss, auch wenn dieses kaum einen Kilometer entfernt und praktisch in Sichtweite liegt. Vorausgesetzt natürlich, der Fahrer ist des korrekten Schreibens kundig, weswegen die Eingabe wohl bald fernmündlich ala „Alexa“ erfolgen wird oder bereits erfolgt. Dann kann es auch schon losgehen mit deiner Beförderung, alles auf mündliche Anweisung und ganz nach dem bekannten Motto: „Führer befiel, wir folgen dir!“ Als ausgebildeter Führer für Berlin und Potsdam frage ich mich gerade, ob es demnächst auch Stadtführungen von Führern ohne Ausbildung geben wird. Möglich ist alles, der Führer hatte schließlich auch keinen Führerschein.

Sicherlich, Taxifahren ist nicht die Welt, aber immerhin das mobilste und möglicherweise auch das zweitälteste Gewerbe auf dieser. Ich will das Taxifahren aber gar nicht überbewerten. Ärzte ohne Medizinstudium wird es wohl nicht geben – oder? Und vielleicht stimmt der Satz von Maria von Ebner-Eschenbach auch gar nicht, dass derjenige, der nichts weiß, alles glauben muss. Möglicherweise ist alles auch ganz anders. Für mich als Ewiggestriger ist mit dem Wegfall der Ortskundeprüfung für Taxifahrer, dem Ende vom Ende des Taxis, jedenfalls klar, dass ich mich nie wieder hinter das Lenkrad eines Taxis setzen werde. Warum sollte ich mich selbst downgraden oder mich unter meinen Wert verkaufen? Das wäre ja so, als würde der Arzt plötzlich als Putzfrau auf seiner Station arbeiten. Und überhaupt: Taxifahren hat auch Ehre!

Ein klein wenig Hoffnung habe ich noch. Wenn das eingangs zitierte Mantra des ewigen Dazulernens stimmt, dann ist das jetzt möglicherweise nur eine Phase, die sich morgen, vermutlich eher übermorgen, schon wieder ins Gegenteil verkehren kann und Wissen plötzlich wieder wichtig ist. Ich würde das nicht komplett ausschließen wollen, erlaube mir allerdings zu bedenken zu geben, dass die Verblödung vergleichsweise zügig voranschreitet – abwärts geht es bekanntlich immer schneller. Setzt man sie in Relation zu der Zeit, die nötig ist, um sich Wissen anzueignen, tippe ich aus dem Bauch heraus auf 1:5 wenn nicht gar 1:10. Mit anderen Worten ausgedrückt: Um ein Jahr Verblödung wieder gut zu machen, bedarf es fünf, wenn nicht gar 10 Jahre Bildung.

Möglicherweise ist der Point Of  No Return, ab dem die Verblödung gar nicht mehr als Verblödung sondern als Normalität wahrgenommen wird, die dementsprechend auch nicht mehr korrigiert werden muss, aber auch vorher erreicht ist. Die Dummheit des Menschen ist nicht nur unendlich, wie Einstein meinte, sondern es gibt für sie, ganz wie auf unseren Autobahnen (haben die nicht die Nazis erfunden?), auch kein Tempolimit. Vielleicht sind wir über den Point Of No Return auch schon hinaus, immerhin wird uns die fortschreitende Verblödung durchaus erfolgreich als „Modernisierung“ verkauft.

Dann ist sowieso alles egal, dann kann ich auch mein ganz persönliches Lieblings-Endzeitszenario verraten, bei dem, wie sollte es anders sein, das Taxi voran fährt: Ein Mensch von morgen, ich wette einer von diesen Taxifahrern ohne Ortskenntnisse, wird von der Künstlichen Intelligenz, eine Art Super-Navi für alles und jeden, welches irgendwann in der Zukunft das menschliche Denken komplett übernommen hat, mit angenehmer aber bestimmender Führerstimme dazu aufgefordert werden, einen ganz bestimmten Knopf auf seinem mobilen End-Gerät zu drücken, weil dies für die Welt das beste sei. Und was macht der Mensch von morgen? Genau, er drückt diesen ganz bestimmten Knopf, und die Welt wird erlöst sein. Denn die Welt ist besser dran ohne den Menschen, allen voran ohne den von morgen.

*Ministerium für Wahrheit
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Mein erstes Care Paket und mein möglicherweise letzter Beitrag

Meine Wunschadresse

Gestern erreichte mich in den Schluchten des Balkans mein erstes Care Paket aus Österreich. Care Pakete gab es nach dem Krieg auch in Deutschland, damals kamen sie aus Amerika. Die Zeiten ändern sich. Auch einen Krieg hat es hier an sich nicht gegeben. Und trotzdem ist Bulgarien, was seine Bevölkerung angeht, das am schnellsten schrumpfende Land weltweit, ohne dass wie gesagt offiziell ein Krieg erklärt worden wäre oder gar stattgefunden hätte. In meinem Dorf sind nur noch mein Bürgermeister und ich verblieben. Alle anderen haben sich rechtzeitig vor den morgigen Neuwahlen in Sicherheit gebracht. In Bulgarien spricht man in dem Zusammenhang auch nicht von „Emigration“ sondern von „Evakuierung“, also von „sich in Sicherheit bringen“. Viele sind nach Deutschland gegangen. Wenn demnächst Bulgaren neben dir einziehen, dann sind sie möglicherweise aus unserem Dorf. Doch zurück zu mir und meinem ersten Care Paket, das mich wie gesagt gestern erreichte. Pakete kommen also an, obwohl auch bei der Bulgarischen Post kaum noch jemand arbeitet. Mein erstes Care Paket ist aus Wien, das ist die Hauptstadt von Österreich und liegt ziemlich genau zwischen Berlin und hier. Mein Care Paket aus Österreich kam aber nicht nur an, sondern war auch nur eine Woche unterwegs, was eine Spitzenzeit ist. Normalerweise braucht eine simple Postkarte mindestens einen Monat, manchmal auch ein Jahr und manch eine kommt auch nie an. Möglicherweise arbeiten bei der Bulgarischen Post bereits Gastarbeiter aus Deutschland. Das ist durchaus vorstellbar, denn immer mehr Menschen aus „Germanija“, wie Deutschland auf Bulgarisch heißt, suchen ihr Glück in den Schluchten des Balkans. In meinem Fall sind die Schluchten nicht nur verkehrt, sondern regelrecht irreführend, denn „Biloto“ heißt „Auf dem Grat“. Ich wohne also „Auf dem Grat“ des Balkangebirges Nummer 24. Auch der Ort „Spanchevtci“ lässt sich übersetzen, er heißt auf Deutsch „Sich schlafen legen“. Beides, also sowohl die Straße „Auf dem Grat“, als auch der Ort „Sich schlafen legen“ hat sich mein Bürgermeister für mich ausgedacht. Deswegen gebe ich sie hier auch an. Wenn es nur noch wenige Einwohner gibt, wie das in meinem Dorf der Fall ist, in dem nur noch mein Bürgermeister und ich wohnen, kann man sich die Namen selber ausdenken in Bulgarien. Das ist ein Trick, mit dem man die letzten Bulgaren zum hierbleiben verleiten möchte. Manchmal klappt das. In dem Fall von meinem Dorf hat es geklappt. Wie es aussieht, werde hier bleiben, auch damit mein Bürgermeister nicht ganz alleine ist. Wenn mein Bürgermeister Zeit hat, bringt er mir meine Post selbst vorbei. Mein Bürgermeister ist nicht nur Bürgermeister und Barmann, sondern auch Postbote. Mein Care Paket aus Wien habe ich mir in seiner Kneipe abgeholt. Auch wenn außer uns niemand mehr im Dorf wohnt, hat mein Bürgermeister immer viel zu tun. Gerade hat er für mich das Freibad mit Mineralwasser aufgefüllt. Mein erstes Care Paket wiegt zwar nur 0,41 kg, aber Masse ist nicht alles, wenn wie in meinem Fall Edelmetalle drin sind. Selbst Edelmetalle kommen neuerdings an, früher ein Unding, aber was noch wichtiger ist: Auch du kannst mir ein Care Paket schicken, es muss keine Edelmetalle enthalten (auch wenn das natürlich schön wäre), und solltest es auch tun, denn vorher gibt es keinen weiteren Beitrag über Überlebensstrategien für den Balkan und anderswo, die auch für dich sehr bald sehr wichtig sein werden. Von irgendwas muss auch ich leben, genauer: überleben. Alternativ kannst du mir auch Geld auf mein Konto überweisen. Auf Nachfrage teile ich dir gerne meine Bankverbindung mit. Du kannst natürlich auch vorbeikommen und deine Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Du wärst nicht der erste, der diese Möglichkeit als Sprungbrett für seine eigene Evakuierung aus Deutschland nutzt, um wenigstens sich selbst in Sicherheit bringen. Vielleicht musst du auch demnächst ausziehen, einfach weil du deine Wohnung nicht mehr bezahlen kannst. Bei uns im Dorf gibt es jede Menge freien Wohnraum, und nicht vergessen: Ich kenne den Bürgermeister, wir sind Freunde. Was das Arbeiten angeht, da mache dir keine Sorgen. Schon vor dem Abgang vieler Landsleute gab es in Bulgarien „Arbeit für das gesamte chinesische Volk“. Auch wenn ich von Besuchen „Auf dem Grat“ in „Sich schlafen legen“ abzusehen bitte, so ist deine Arbeitskraft hier immer Willkommen. Und auch wenn die Adresse eine Wunschadresse ist (die Möglichkeit gibt es in Bulgarien wirklich, so wie es in Deutschland Wunschkennzeichen fürs Auto gibt), die sich mein Bürgermeister für mich, seinen Freund aus Deutschland, das er sehr mag, ausgedacht hat: Uns gibt es wirklich! Was noch wichtiger ist: Die Post kommt auch an, selbst Edelmetalle, obwohl die Adresse wie gesagt eine Wunschadresse ist. Aber das wichtigste ist: Du hilfst mir jetzt, und ich helfe dir demnächst, wenn du Hilfe brauchst – versprochen!
Foto&Text TaxiBerlin

Von Mafioten und Philanthropen

 

Öffentliches Wählerverzeichnis am Bürgermeisteramt

Gestern erschien der zweite Artikel von mir im Ausland, um genau zu sein in Österreich, nachdem in Deutschland niemand Interesse an ihm hatte. Mit diesem Blog-Beitrag möchte ich aber nicht nur auf ihn aufmerksam machen, sondern ihn auch erklären. Das ist nötig, weil man in Wien, wo mein Artikel veröffentlich wurde, näher dran ist am Balkan und demzufolge mehr über ihn weiß. Von Berlin aus ist Wien die Hälfte der Strecke, weswegen ich ernsthaft darüber nachdenke, überhaupt nicht mehr nach Berlin zurückzukehren, sondern gleich nach Wien zu ziehen. Jedenfalls konnte ich diese Erklärungen in meinem Artikel weglassen. Die Österreicher können zwar kein Hochdeutsch, sind dafür aber meist etwas Heller im Kopf.
In meinem Artikel geht es nicht um meine Arbeitssuche hier auf dem Balkan, das ist nur der Hintergrund der Geschichte, und es geht auch nicht um die Neuwahlen am Sonntag hier in Bulgarien, die sind nur der Anlass. Es geht in meinem Artikel, wie es der Titel dieses Blog-Beitrags bereits sagt, um Mafioten und Philanthropen. Wer und was ein Philanthrop ist, das muss ich, so denke ich, nicht weiter erklären, oder vielleicht doch: Philanthropen sind Menschen, um es mit den Worten von Oscar Wilde zu sagen, die ihre Menschlichkeit vollständig verloren haben und deswegen ihren Mitmenschen nur noch auf die Nerven gehen, woran sich bis heute leider nichts geändert hat.
Mafiot ist dagegen ein echter Balkan-Begriff, der eine Person bezeichnet, die bei der Mafia ist bzw. für sie arbeitet. Ich verwende das Wort in der Mehrzahl, also Mafioten, nicht nur, um mich wichtig zu machen, sondern auch weil es ein vergleichbares Wort im Deutschen nicht gibt. Im Deutschen muss man immer mit vielen Worten erklären, dass die Person bei der Mafia ist bzw. für die Mafia arbeitet. Auf dem Balkan gibt es dafür ein Wort: Mafiot.
Was nun die bevorstehenden Neuwahlen am Sonntag angeht, so stecke ich da wirklich in dem beschriebenen Dilemma, für das ich aber gerade in dem Moment, wo ich darüber schreibe, eine Lösung gefunden habe. Ich musste nämlich eben an mein Motto denken, dass wenn Wahlen was ändern würden, sie längst verboten wären. Ganz genau musste ich an das Ende der DDR denken, dass nicht durch Wahlen sondern auf der Straße besiegelt wurde, völlig unabhängig davon, wer vorher was gewählt hatte oder nicht.
Foto&Text TaxiBerlin

Mein Leben mit 99 Cent

Noch ist nicht aller Tage Abend …
(Heiland mit Victory-Zeichen aus Messing auf Sargdeckel aus Holz)

Seit meinem Beitrag über meinen Bürgermeister und sein „Barchen“, in dem ich immer meine gut gekühlte Coca-Cola aus der 250 ml Glasflasche für einen bulgarischen Lewa trinke, was immerhin 50 Cent sind, habe ich viel nachgedacht über mein Leben im Allgemeinen und meinen Aufenthalt hier in den Schluchten des Balkans im Besonderen. Das liegt daran, dass mir beim Schreiben des Beitrags klar geworden ist, dass ich kein Betrüger bin, wie ich immer dachte, sondern im Gegenteil jemand, der betrogen wird, um es mal so zu formulieren. Doch der Reihe nach:

Offiziell bin ich in Bulgarien im Auftrag des Berliner Arbeitsamtes, wobei „im Auftrag“ zugegeben etwas übertrieben ist. Die genaue Bezeichnung ist „Arbeitssuche im Europäischen Ausland“, zu der ich die „Leistung“ des Arbeitsamtes, also das Arbeitslosengeld, welches mir zusteht, weil es sich dabei um eine Versicherung handelt, in die ich viele Jahre eingezahlt habe, mitgenommen habe, weswegen man von Amts-, also von Arbeitsamt-wegen, von einer „Leistungsmitnahme“ spricht.

Diese mitgenommene „Leistung“, die pünktlich überwiesen wird, in diesem Punkt habe ich kein Grund zur Klage, beläuft sich auf 20,99 Euro am Tag, was 627,90 Euro im Monat sind. Wie ich schon mehrfach erwähnt habe, schreibe ich nur ungerne über Geld. Da ich mich nunmehr aber dazu gezwungen sehe, möchte ich dabei umso genauer sein. Meine Wohnung in Berlin samt ihrer Nebenkosten kostet mich ziemlich genau 600 Euro im Monat, so dass mir von meiner „Leistungsmitnahme“ 27,90 Euro bleiben, was 99 Cent am Tag sind. Die ein oder andere Krämerseele wird jetzt möglicherweise auf seinem Sofa liegend einwenden, dass ich dann ja noch Wohngeld beantragen könnte. Auch daran habe ich natürlich gedacht, aber nicht umsonst geht’s beim Wohngeld nicht nur ums Geld, sondern im Wohngeld kommt auch das Wort Wohnen vor, und das tue ich nicht in Berlin. Wohngeld kannst du also vergessen meine lieber Korinthenkacker!

In Berlin würde ich jetzt losgehen und mich auf der Straße, wo ich viele Jahre zu Hause war, nach Büchern und leeren Flaschen umsehen, während ich die tausend Nachweise zusammensuchte, um besagtes Wohngeld beantragen zu können. Letzteres geht wie gesagt nicht, wenn ich gar nicht in Berlin wohne, und Bücher liegen hier in den Schluchten des Balkans nicht auf der Straße rum. Leere Flaschen liegen in Bulgarien dafür überall rum, und die meisten davon sind sogar aus Plastik, die in Deutschland immerhin 25 Cent das Stück einbringen, also ein Viertel meiner mir hier am Tag zur Verfügung stehenden Mittel, nur leider ist das deutsche Pfandsystem nicht bis in die Schluchten des Balkans vorgedrungen. Und Flaschen zu sammeln, um sie dann später in Deutschland abzugeben, funktioniert auch nicht, weil den Flaschen das deutsche Symbol fehlt, das sie erst zur wertvollen Pfandflaschen macht. Außerdem müsste ich sie dann noch irgendwie nach Deutschland bekommen, wo ich schon Sorge habe, ob und wie ich selbst überhaupt noch einmal nach hause nach Berlin komme.

Aber noch bin ich hier in Bulgarien und mir stehen genau 99 Cent am Tag zur Verfügung, was nicht nur ziemlich genau 1,95 Lewa sind, sondern auch 1,95 Deutsche Mark. In Bulgarien Geld zu tauschen ist immer auch eine Zeitreise, denn die bulgarische Währung hat bis heute den Wert der D-Mark. Hier kannst du, liebe gute alte D-Mark, also sehen, wie viel Wert du noch bist. In meinen weiteren Ausführungen werde ich deswegen die Beträge in D-Mark und nicht in bulgarischen Lewas angeben, einfach weil der Wert identisch ist, und damit du als Leser in Deutschland, der sich vielleicht noch persönlich an unsere gute alte D-Mark erinnert, etwas mehr damit anfangen kannst. Wie es dazu gekommen ist, dass der bulgarische Lewa 1:1 der deutschen Mark entspricht, soll uns an dieser Stelle nicht weiter interessieren. Wer mehr darüber erfahren möchte, dem möchte ich das Stichwort „currency board“ für seine Recherche mit auf dem Weg geben.

Das erste, was ich nach meinem Kassensturz, bei dem herausgekommen ist, dass mir genau 99 Cent, also 1,95 D-Mark am Tag zur Verfügung stehen, beschlossen habe, ist, dass ich mir die eisgekühlte Coca-Cola aus der Glasflasche im „Barchen“ von meinem Bürgermeister nicht mehr leisten kann. Die kostet zwar nur eine ganze D-Mark, aber das sind gleich mal 50 Cent, also gut die Hälfte von den 99 Cent, die mir am Tag zur Verfügung stehen. Über meine weiteren einschneidenden Entscheidungen meinen Lebensstil in den Schluchten des Balkans betreffend, werde ich in meinen nächsten Beiträgen berichten, denn bei „Mein Leben mit 99 Cent“ handelt es sich um eine Serie. Was ich schon jetzt sagen kann, ist, damit mein Leben hier nicht nur rein rechnerisch, sondern auch ganz praktisch funktionieren kann, nicht nur einschneidenden Einschränkungen meines Lebensstil notwendig sind, sondern ich auch weitere neue Einkunftsquellen auftun muss.

Und da habe ich an dich gedacht. Sicherlich hast du dich beim Lesen auch schon gefragt, wie du mit 99 Cent am Tag zurechtkommen würdest. Solltest du eine Idee haben, so bin ich natürlich auch an der interessiert. Vor allem bin ich aber an deinem Geld interessiert. Das kannst du mir gerne Spenden, indem du mir etwas auf mein Konto überweist. Muss nicht viel sein, 99 Cent am Tag würden für den Anfang genügen. Immerhin würdest du meine jetzigen Mittel damit um 100 % aufstocken. Außerdem könntest du damit auch das Problem der Negativzinsen für dich lösen. Und zu guter Letzt kannst du die Spende von der Steuer absetzen. Was du dafür von mir bekommst, möchtest du natürlich wissen. Ich will es dir sagen: Ich versorge dich mit Informationen, wie in Zukunft auch du mit 99 Cent am Tag überleben kannst. Denn ich bin mit meinem Gang auf den Balkan „nur“ den Weg vorgegangen, den demnächst alle gehen werden – bald auch du.

PS: Bitte kontaktiere mich persönlich, um meine Bankverbindung zu erfahren. Danke im Voraus für deine Spende!

PPS: Da man in Bulgarien (noch) alles bar bezahlen kann, haben hier viele Menschen gar kein Konto. Auch ich überlege mein Konto in Berlin aufzulösen, für das die Gebühren im letzten Jahr von 1,50 auf 5,00 Euro im Monat über Nacht und um mehr als 200% gestiegen sind. Ich halte dich diesbezüglich auf dem Laufenden – wir finden einen Weg, wie der Bulgare für alles einen Weg findet, damit deine Spende trotzdem ankommt.

Foto&Text TaxiBerlin

Leben in Zeiten von Corona – Heute: “Ich hab geträumt, der Krieg wär vorbei, du warst hier, wir waren frei und die Morgensonne schien.”

 

Dank Impfpropaganda
„Ich hab geträumt, der Krieg wär vorbei, du warst hier, wir waren frei und die Morgensonne schien“, so heißt es in einem bekannten Song von Ton Steine Scherben, den Rio Reiser, der Frontmann von TSS, später auch solo gesungen hat. Genau an diese Textstelle muss ich gerade denken, als das hiesige staatliche National-Radio in seinen Morgennachrichten plötzlich weder über Verwundeten noch über Gefallene zu berichten wusste. Dem Krieg positiv Gegenüberstehende gibt es in Bulgarien heute morgen nur noch ganze neun (9) Ewiggestrige, allesamt korrupte Kriegsprofiteure, mindestens aber Mafioten mit Interessenskonflikten, auch aus Mangel Philanthropen im Land. An den Grenzen zu Griechenland und zur Türkei staut sich zwar noch der Verkehr, aber das soll sich im Laufe des Tages, spätestens der Woche, normalisieren.
Der Kampf gegen die Korruption, die es bekanntlich nur auf dem Balkan gibt, wird in Bulgarien seit einiger Zeit sehr ernst genommen. Die Europäische Union hat da, wenn man so will, ganze Arbeit geleistet. Selbst ob „Bruder Boiki“, wie der noch amtierende Langzeit-Ministerpräsident von seinen Fans und vermutlich auch von Angela Merkel liebevoll genannt wird, bei den Neuwahlen am 11. Juli noch einmal gewählt wird, ist nicht gewiss. Das liegt vor allem daran, dass nicht wenige Bulgaren Boiko Borissow, dessen Pro-Europa-Partei GERB eine Schwesterpartei von Angela Merkels CDU ist, für einen korrupten Mafioten halten. Und warum sollte „Bruder Boiko“ auch noch mal gewählt werden, wenn seine Schutzpatronin in Berlin, unsere Langzeit-Kanzlerin, sich selbst nicht mehr zur Wahl stellt.
Denn jetzt, wo der Krieg in Bulgarien vorbei ist, und pünktlich zu den Neuwahlen am 11. Juli, fragen sich immer mehr Bulgaren, was für eine Rolle das Europa von „uns Ursula“ und insbesondere Deutschland mit der Langzeit-Kanzlerin Angela Merkel an der Spitze spielt und gespielt hat, oder mit anderen Worten: Inwieweit überhaupt ernsthaftes Interesse am vorgegebenen Kampf gegen Korruption bestand, oder ob dieser nur eine von diesen Nebelkerzen war, die von den ganz eigenen Problemen Europas und auch Deutschlands ablenken sollte.
Wie gesagt, zu diesen Überlegungen konnte es nur kommen, weil der aktuelle Krieg, der möglicherweise eine weitere, noch größere Nebelkerze ist, zumindest in Bulgarien vorbei ist und damit auch die so genannten Wissenschaftler, die größten Kriegstreiber unserer Zeit, kein Gehör mehr finden. Selbst im staatlichen National-Radio wird in dem Zusammenhang auf Fjodor M. Dostojewski verwiesen, obwohl der gar kein Bulgare sondern Russe war, der bereits vor vielen Jahren in seinem Standartwerk über Verschwörungen „Die Dämonen“ über die Wissenschaft geschrieben hat, dass sie im Leben der Völker immer, heutzutage und seit Uhrzeiten, nur eine zweitrangige und dienende Rolle gespielt hat, und dass dies auch bis in alle Ewigkeit so bleiben wird.
Was die eingangs zitierte Textstelle „Ich hab geträumt, der Krieg wär vorbei, du warst hier, wir waren frei und die Morgensonne schien“ von Rio Reisers Ton Steine Scherben angeht, die ist aus dem Song „Der Traum ist aus“. Aber hey, das ist nur ein Song, das muss nicht so sein! (Immer diese miesepetrigen Deutschen!) Denn „Es gibt so ein Volk“ ist nicht nur die Partei (die eigentlich „So ein Land gibt es nicht“ heißen sollte) des größten Konkurrenten von „Bruder Boiko“, Merkels Man in Sofia, und möglichen Wahlsiegers Slavi Trifonow, sondern auch eines, das sein Schicksal selbst in die Hand nimmt und den Krieg einfach mal für beendet erklärt. Aber am besten, du kommst selbst nach Bulgarien, machst dir dein eigenes Bild und feierst mit uns zusammen den Sieg: „Der Krieg ist vorbei, du bist hier, wir sind frei und die Morgensonne scheint.“
PS: Gerade wird im staatlichen National-Radio über die Kollateralschäden des zu Ende gegangenen Krieges gesprochen, über all die verzweifelten, verarmten, hungernden, depressiven und sich das Leben genommenen Landsleute. Es wird erwogen, den 11. Juli, also den bevorstehenden Wahltag, zum Tag der nationalen Trauer für alle Kriegsopfer zu erklären. Anrufer fordern sogar, einige der so genannten Wissenschaftler als Kriegstreiber vor Gericht zu stellen. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es so weit kommt. Das wichtigste ist dem Bulgaren, und darauf weisen auch alle Anrufer beim staatlichen National-Radio hin, dass man zusammen ist bzw. zusammen kommt, egal was war oder was ist, also auch mit dem Wissenschaftler, selbst wenn dieser eben noch ein Kriegstreiber im gerade zu Ende gegangenen Krieg war. Ja, das kann ich mir gut vorstellen, auch und gerade nach einer Tragödie wie der gerade zu Ende gegangene Krieg. Dass man zusammen kommt zum „Leichenschmaus“, wie man im Deutschen so schön sagt. Denn: „Seines Todes ist man gewiss: warum sollte man nicht heiter sein?“ (Friedrich Nietzsche)
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Leben in Zeiten von Corona – Heute: Deutschland : Bulgarien – 5:1

 

Angebote im „Barchen“ meines Bürgermeisters

Das Resultat meiner Arbeitssuche auf dem Balkan ist nach einem Monat immer noch Null, um ganz genau zu sein Null Komma Null, oder wegen mir auch 0:0, wenn ich die Anzahl der Fahrgäste in Berlin mit den Jobs hier ins Verhältnis setze. Wie zum Schluss in meinem Taxi habe ich Zeit ohne Ende, und so sitze ich jeden Abend in der einzigen im Dorf verbliebenen Kneipe bei meinem Bürgermeister, und wir schauen uns zusammen die Fußballspiele an. Ich muss dazu sagen, dass ich überhaupt kein Kneipentyp bin, und der Begriff Kneipe auch reichlich übertrieben ist. Es ist eher ein „Kneipchen“, die genaue Bezeichnung ist „Barchen“, die Verkleinerungsform von Bar, der Bulgare liebt die Verkleinerungsform. Manchmal schauen mein Bürgermeister und ich auch zusammen Nachrichten, aber Korruption und Vetternwirtschaft, die es, geht es nach den von Versace eingekleideten Moderatorinnen und Moderatoren im Fernsehen, nur hier in Bulgarien gibt, ist auf die Dauer doch etwas monothematisch – dann lieber Fußball.

Ich kenne meinen Bürgermeister nun seit gut 20 Jahren, schon damals hatte er seine Kneipe, obwohl er noch gar nicht Bürgermeister war. Später, als er bereits einige Zeit Bürgermeister war, eröffnete plötzlich im Örtchen und keine hundert Meter entfernt eine weitere Kneipe mit dem Namen „Beim Bürgermeister“, was man heute wohl als „fake news“ bezeichnen würde. „Beim Bürgermeister“ hat aber nicht wegen dieser „alternativen Fakten“ seit letztem Jahr geschlossen, sondern weil es sich im Dorf niemand mehr leisten kann, überhaupt in irgendeine Kneipe zu gehen. Dazu gleich mehr.

Im Dorf gibt es auch einen kleinen Lebensmittelladen, in dem das Billigste vom Billigen angeboten wird. Neulich wollte ich mir dort etwas Schafkäse kaufen, woraufhin mich die Verkäuferin, die mich genauso lange kennt wie ich den Bürgermeister, darauf hinwies, dass dieser Käse nichts für mich sei. Aber nicht etwa, weil er nicht aus Schaf- sondern aus Kuhmilch war, was im ärmsten Land Europas die Regel ist, sondern weil er vor allem aus Palmfett bestand, was noch billiger ist als Kuhmilch, man mit Palmfett also noch mehr Geld machen kann als mit Milch von der Kuh im Schafkäse. Mit der einst wohlschmeckenden bulgarischen Butter verhält es sich genauso. Bulgarische Butter heute ist Margarine, also Pflanzenfett, selbst Bulgaren kaufen jetzt deutsche Butter, vorausgesetzt sie können es sich leisten. Ich ließ also die Finger vom Schafkäse aus Palmfett und kaufte nur ein wenig Weißbrot, ohne das kein Bulgare überleben kann, das aber auch nicht mehr das ist, was es mal war, wobei mir nicht klar ist, was man beim Brotbacken noch einsparen und zu Geld machen kann. Vielleicht sollte ich auf Kartoffeln aus Deutschland umsteigen, die es mittlerweile auch in Bulgarien zu kaufen gibt.

Wenn die Verkäuferin nicht arbeitssuchende Gastarbeiter aus Deutschland vor ihrem Angebot warnt, bedient sie tagsüber auch die nicht vorhandenen Gäste in dem sich gleich neben ihrem kleinen Verkaufsladen befindenden „Barchen“ von meinem Bürgermeister. Am Abend ist mein Bürgermeister selbst der Barmann in seinem „Barchen“, dann serviert er mir die eisgekühlte Coca-Cola in der 250 ml Glasflasche für einen bulgarischen Lewa, was fünfzig Cent sind, Trinkgeld wird nicht akzeptiert. Das mit der Glasflasche ist wichtig, weil es in Bulgarien auch Plastikflaschen gibt, die nicht nur größer, sondern auch billiger sind, aus denen aber dem Bulgaren nichts so recht schmecken mag. Aus Plastikflaschen trinken in Bulgarien nur arme Menschen, aus Glasflaschen zu trinken ist also nicht nur eine Frage des Geschmacks sondern auch der Ehre. Mein Bürgermeister und Barmann ist nicht nur ein lieber netter Mensch, sondern auch einer, der sich um seine Leute, nicht nur in seiner Bar, sondern auch in seinem Dorf kümmert. Obwohl meinem Bürgermeister nichts über sein Dorf und dessen Bewohner geht, und er auch noch nie in Deutschland war, findet er es als Land gut. Deutsche leiden kann er aber nicht. Das sind ihm zu künstliche Menschen, die Deutschen, sagt er. Bei mir macht er aus alter Freundschaft, und weil ich treuester Kunde bin, eine Ausnahme.

Der Bulgare bringt es fertig, an jemanden etwas nicht zu verkaufen, selbst wenn er das Geld dringend nötig hat, nur um der Ehre willen. In diesem Punkt ist er irgendwie wie ein Deutscher, der bekanntlich etwas um seiner selbst Willen tut oder zumindest irgendwann einmal getan hat. Das „Barchen“ von meinem Bürgermeister, das sei noch erwähnt, ist genau genommen ein Gemischtwarenladen, in dem es beispielsweise auch Einmalrasierer (Foto) zu kaufen gibt. Den letzten Einmalrasierer hat mein Bürgermeister vor über einem Jahr verkauft. Seither rasiert sich niemand mehr im Dorf.

Das hängt auch mit dem Kurzarbeitergeld zusammen, das in Bulgarien gänzlich unbekannt ist. Mit dem Arbeitslosengeld, welches es gibt, verhält es sich in Bulgarien dagegen wie in Deutschland: Es gibt 60 %, allerdings nur neun, maximal 12 Monate – danach Null, also nichts. Hat der Bulgare, um mal ein Beispiel zu machen, vorher sagen wir 500 Lewa im Monat verdient, was für unsere ärmste Region im Nordwesten des Landes ganz OK ist, bekommt er, wenn er beispielsweise durch das planmäßige Herunterfahren der Wirtschaft seinen Job verloren hat, etwa 300 Lewa Arbeitslosengeld vom „bjuro po truda“, dem bulgarischen Arbeitsamt, was immerhin 150 Euro im Monat bzw. fünf Euro am Tag sind, das ganze wie gesagt maximal für ein Jahr.

Ich erwähne das „bjuro po truda“ auch, also das bulgarische Arbeitsamt, weil ich mich dort melden musste, damit das mit der „Leistungsmitnahme“ während meiner Arbeitssuche in den Schluchten des Balkans beim Jobcenter in Berlin durchgeht. Auch wenn ich ansonsten nicht gerne über Geld schreibe, so möchte ich an dieser Stelle eine Ausnahme machen, damit ein jeder versteht, allen voran ich selbst, warum ich mich gelegentlich wie ein Betrüger fühle in Bulgarien. Dabei hat der Bulgare, im Gegensatz zu mir, keine Wohnung in Berlin, für die er Miete zahlen muss, sondern wohnt hier in seinem eigenen Haus. Erwähnte 60 % Arbeitslosengeld sind bei mir zwar immerhin 600 Euro im Monat, also 20 Euro am Tag, aber 600 Euro kostet alleine schon meine Wohnung in Berlin im Monat, und das ist noch preiswert. Warum ich es mir leisten kann, jeden Tag bei meinem Bürgermeister in der Kneipe zu sitzen und eine eisgekühlte Coca-Cola aus der Glasflasche für 50 Cent zu trinken, manchmal sogar zwei, das verstehe ich jetzt, wo ich darüber schreibe, selbst nicht mehr. Denn rein rechnerisch bin ich derjenige, der auf Null ist, genau Null Komma Null, oder wegen mir auch 0:0 – und zwar jetzt schon, trotz „Leistungsmitnahme“ aus Deutschland. Betrüger sehen anders aus!

Neulich war es nun so, dass ich nicht der einzige Gast in dem „Barchen“ von meinem Bürgermeister war. Zwei ebenfalls unrasierte Dorfbewohner hatten sich aus alter Gewohnheit an dem ehemals vertrauten Ort eingefunden. Wir waren also zu viert: Die beiden ehemaligen Stammkunden, mein Bürgermeister und ich. Nicht nur, weil mein Bürgermeister ein professioneller Barmann ist, sondern auch weil dies in Bulgarien so üblich ist, hat er seinen Gästen etwas zu trinken angeboten. Natürlich nicht irgendwas, sondern ihr Lieblingsbier, das er weiß, weil sie einst seine Stammkunden waren. Und obwohl ich den Eindruck hatte, dass es sich spätestens nach der zweiten Nachfrage um eine Einladung handelt, das Bier also auf Kosten des Bürgermeisters gehen würde, wurde dieses dann noch weitere drei Mal – also insgesamt fünf Mal! – abgelehnt. Am Ende hatten beide gegen ihren ausgesprochenen Wunsch ihr Lieblingsbier, eisgekühlt und in der Glasflasche vor sich zu stehen. Zur Feier des Tages, Deutschland hatte gerade gegen ins eigene Tor schießende Portugiesen 4:2 gewonnen, gönnte ich mir eine zweite eisgekühlte Coca-Cola für umgerechnet 50 Cent in der 250 ml Glasflasche.

Heute spielt nun Deutschland gegen England, und ich werde wieder in die Kneipe gehen, obwohl ich wie gesagt gar kein Kneipentyp bin, um mir das Spiel zu anzusehen. Vermutlich werde ich wieder alleine im „Barchen“ von meinem Bürgermeister sitzen. Auch wenn er wie gesagt Deutschland als Land mag, so kann er das Spiel der Deutschen nicht leiden. Selbst das ist ihm zu künstlich. Ich selbst gehe nur in die Kneipe, damit mein Bürgermeister nicht ganz alleine dort sitzt. Auch ich kümmere mich um meine Leute. Deutschland gegen England geht mir sonstwo vorbei, ist für mich nur Brot und Spiele. Deswegen macht es mir auch nichts aus, heute auf die eisgekühlte Coca-Cola für 50 Cent in der Glasflasche zu verzichten. Ich fülle mir einfach vorher am Brunnen vor der Kneipe etwas Mineralwasser ab. Das geht auch, schließlich sind wir Bulgarien!

Wobei, jetzt wo ich darüber schreibe, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich damit nicht auch bereits zu künstlich, also zu deutsch bin. Ich meine, was soll die ganze Rechnerei und das Nachdenken darüber, was ich mir leisten kann und was nicht. Das hängt doch auch vom Spiel ab, oder? Ob sie wieder deutsch, also berechnend spielen, oder mit dem Herz dabei sind. Und überhaupt, vielleicht lädt mein Bürgermeister mich ja auf ’ne eisgekühlte Coca-Cola in der 250 ml Glasflasche ein. Um auf Null zu bleiben und nicht ins Minus zu gehen, muss ich dann nur noch bis fünf zählen können. Nur bis drei zu zählen könnte klappen, muss aber nicht. Mit fünf bin ich auf der sicheren Seite.

Foto&Text TaxiBerlin