Bericht aus Grossbritannien – “No More Lockdown”

Mehrfach habe ich schon über meinen besten englischen Freund Jerry geschrieben, der drei Dörfer weiter wohnt, und der am liebsten Deutscher wäre, zumindest bis vorgestern. Manchmal geht es mir nun wie Jerry, nur umgedreht, und zwar dass ich gerne Engländer wäre. Gut, was da jetzt von den britischen Medien kommt, sogar von der BBC, ist nicht wirklich neu, zumindest nicht für Bulgaren, von denen viele in Grossbritannien ihr Geld verdienen. Der Unterschied scheint mir zu sein, dass wenn der Engländer etwas sagt, dann hat es irgendwie mehr Gewicht. Wobei schwer zusagen ist, woran das genau liegt. Ob es alleine an der Sprache liegt, oder an den vielen Banken in der Londoner City, die das Gesagte aufwerten, oder einfach nur an dem Umstand, dass das Vereinigte Königreich einst ein Weltreich war und zum Teil immer noch ist. Jedenfalls ist es so, dass wenn der Bulgare etwas sagt, dann sagt es eben nur ein dummer Bulgare. In dem Zusammenhang frage ich mich gerade, ob Van Morisson, den ich neulich, also vor Corona, noch live in Berlin erlebt habe und von dem obiger Song “No More Lockdown” aus dem Jahre 2020 ist, eigentlich immer noch ein Covidiot ist, oder doch eher jemand mit Weitsicht? Was mit mir als halber und dummer Bulgare ist, danach frage ich besser erst gar nicht.
Song VanMorisson
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (273) – “No matter what my german voters think” – Annalena Baerbock

Annalena Baerbock vorgestern in Prag
Bei den letzten Wahlen in Bulgarien im November lag die Wahlbeteiligung bei 40 Prozent. Die nächsten Wahlen gibt es am 2. Oktober, also heute in einem Monat. Die Wahlbeteiligung wird dann aller Wahrscheinlichkeit weiter fallen. Davon würde ich ausgehen, wenn die Außenministerin Bulgariens Annalena Baerbock heißen würde. So einfach darf man es sich nicht machen, das schreibt zumindest der Spiegel. Wenn unsere Außenministerin sich einen Dreck um ihre Wähler in Deutschland schert, dann hat natürlich der Russe Schuld. Das meint allen Ernstes das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, wo alle mit Menthol-Zigaretten gedopt zu sein scheinen. Ich weiß nicht, wie viele Menschen diesen Quatsch noch glauben in Deutschland. Meine Befürchtung ist, dass es nur allzu viele sind. Anders in Bulgarien. Die Menschen hier mögen einfach sein, aber nicht dumm. Vor allem kriegen sie mit, wenn sie verarscht werden, was mir hier der Fall zu sein scheint. Kriegstreiberin Annalena Baerbock empfehle ich, wenn sie so geil auf Krieg ist, dann soll sie an die Front gehen und in erster Reihe mitkämpfen, und sich nicht bequem im Sessel fläzen und ihre Wähler in der Heimat für dumm verkaufen, die sie mit ihrer “pro westlichen”, sprich “make America great again” Politik, gerade dabei ist zu ruinieren. Noch mehr Delegitimation geht eigentlich nicht mehr.
Video YouTube
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (272) – “Go Sahra go!”

 

Gerade erfahre ich, dass Sahra Wagenknecht ausgeladen wurde, am Montag auf der von ihrem Parteikollegen Sören Pellmann organisierten Demo in Leipzig zu sprechen. Während man in Deutschland noch versucht herauszufinden, wer hinter der Ausladung steckt, ist man in Bulgarien schon wieder einmal weiter. Bereits am 11. Mai dieses Jahres haben diese beiden Frauen auf einer Demo vor dem Parlament gesprochen. Ich bin hundertprozentig mir sicher, dass keine der beiden Frauen eine Einladung hatte, um auf der Demonstration zu sprechen. Weder die große Frau oben im roten Jacket, noch die kleine Frau unten in den weinroten Leggins. Sie haben es einfach getan. Die ganze Diskussion in Deutschland erinnert mich an einen Ausspruch, der Lenin zugeschrieben wird. Lenin hieß eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow und war Russe. Ich sag es besser vorher, damit es später keine Beschwerden gibt. Besagter Lenin sagte über deutsche Revoluzzer folgendes: “Deutsche Revolutionäre besetzen einen Bahnhof erst nach Kauf einer Bahnsteigkarte.” – Genau das möchte ich Sahra Wagenknecht auf den Weg geben. Kümmere dich nicht um irgendeine Einladung. Geh nach Leipzig und sprich zu den Menschen. Sie wollen dich hören, deine Stimme, dein Charisma, deine Intelligenz, deine Weit- und Durchsicht. Vergiss die Einladung, du brauchst sie nicht! – Und: Es ist richtig, dass du mit dem “Laden” DIE LINKE nichts mehr zu tun haben willst. Übernimm endlich den “Laden” BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND, Sahra!
PS: Der, die, das Deutsche am Fahrkartenschalter: “Einmal Revolution bitte!” – Nachfrage der Deutsche Bahn Mitarbeiterin: “Einfache Fahrt oder mit Rückfahrt?”

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Bericht aus Bulgarien (271) – “Überlegungen in der Ferne”

“Je korrumpierter das Land, desto zahlreicher seine Gesetze.” (Tacitus)
Werbetafel in Sofia

In letzter Zeit muss ich immer öfter an Menschen denken, die mir ab Mitte der Achtziger in der DDR begegnet waren, und die sagten, dass sie nichts dem System geben würden, es nicht unterstützen würden, weder mit ihrer Arbeitskraft, noch mit Geld. Zugegeben, es waren ihrer nicht viele, aber es gab sie. Damals war es viel einfacher, mit wenig Geld über die Runden zu kommen als heute. Die Preise waren niedrig und die Mieten ebenso. An zwei von ihnen erinnere ich mich besonders gut. Auf ihren Fahrrädern brachten sie damals alten Menschen das Mittagessen nach hause, gekocht hat es die “Volkssolidarität”, die es bis heute gibt, und die die beiden vermutlich bar bezahlt hat. Andere wiederum haben nur von Flohmärkten gelebt. Für eine Schallplatte aus dem Westen konnte man dort damals 100 Mark der DDR oder mehr bekommen. Ich selbst habe auch schon mal fünf Schallplatten verkauft und konnte damit nach Bulgarien fahren. Einmal sind wir sogar per Anhalter gefahren. Doch zurück zu den Menschen, die in der DDR nichts dem System geben wollten. Für viele Zeitgenossen war das natürlich unvorstellbar, solche Ansichten zu vertreten und dann auch noch danach zu leben. Auch ich konnte und wollte es mir nicht so recht vorstellen damals. Dazu muss man wissen, dass die allermeisten Menschen in der DDR bis zum Schluss ein ganz normales Leben geführt haben. Praktisch so wie heute, solange man sich nicht mit dem System anlegt. Nach Wende und Mauerfall waren viele Menschen überrascht, dass es so etwas wie Stasi und Überwachung gab. Immerhin davon hatte ich eine Vorstellung bekommen, denn der Vater meiner ersten großen Jugendliebe war bei der Stasi, weswegen er unsere Freundschaft rasch unterband. Damals gingen die meisten, die das System nicht mehr mittragen wollten, in den Westen, wurden gar in den Westen hinausgeworfen oder von ihm freigekauft, hatten keinen Personalausweis mehr, konnten sich also innerhalb der DDR nicht frei bewegen, oder saßen einfach im Knast. Die meisten Menschen dachten damals genauso wie heute, dass das böse Menschen seien. Man hatte es ihnen gesagt und es stand auch so in der Zeitung. Es war nicht nur das Einfachste, daran zu glauben, sondern auch das Beste, wollte man sich nicht selbst in Schwierigkeiten bringen. Und warum sollte man sich in Schwierigkeiten bringen, wenn man nicht wusste, wann es mit dem System vorbei ist. Das wussten ja nicht einmal die allergrößten Experten im Westen. Komisch wurde es dann nach der Wende, als viele von diesen ehemaligen DDR-Menschen plötzlich behaupteten, es schon immer gewusst zu haben, dass der Sozialismus, das sozialistische System nicht funktionieren kann. Komisch war es vor allem deshalb, weil die Menschen selbst daran zu glauben schienen. Sie waren fest davon überzeugt, es schon immer gewusst zu haben. Und dagegen war nichts zu sagen, denn niemand, außer sie selbst, konnte wissen, ob es wirklich so war oder nicht. Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass sie dieses Wissen zuvor nie zum Ausdruck gebracht hatten. Zumindest die allermeisten von ihnen nicht. Für den Außenstehenden sah es so aus, musste es so aussehen, dass man mal wieder von nichts gewusst hatte, von nichts gewusst haben wollte. Mir persönlich stieß vor allem die Penetranz dieser Menschen auf, die von einem Tag auf den anderen Dinge behaupteten, die zuvor zu keinem Zeitpunkt von ihnen zu vernehmen waren. Dass mir diese Geschichten gerade jetzt einfallen, erkläre ich mir damit, dass uns vermutlich etwas ähnliches bevorsteht. Klarkommen muss damit jeder selber. Das war damals so und ist heute nicht anders. Was ich aus meiner persönlichen Erfahrung sagen kann, ist, dass es Menschen gab und auch heute gibt, die diesen Selbstbetrug durchschauen, und damit auch die Heuchelei dieser Menschen. Das scheint mir ganz klar festzustehen.

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Bericht aus Bulgarien (270) – “Gorbi hilf!”

Hilf dir selbst, so hilft dir Gott
(Zerstörte Brücke über den Fluss Botunya bei der Stadt Varshets)

Die Welt ist aus den Fugen, nicht nur in Deutschland, auch in Bulgarien. 1989 sollte uns Michail Gorbatschow helfen, sie wieder zu kitten. Und in gewisser Weise tat er es auch, weswegen auch ich ein Fan von ihm war, und das schon seit Mitte der Achtziger, also von Anfang an. Als Gorbatschow im August 1991 entführt wurde, war ich gerade in Schottland in den Highlands. Ich erinnere mich noch genau, wie mein schottischer Freund und erster Englischlehrer Hugh mich mittels seines kleinen Campingfernsehers mit nur mäßigem Empfang in den dortigen Schluchten auf dem Laufenden hielt, wie es um meinen Michail in seiner russischer Heimat steht. Seit einigen Tagen fühle ich mich nicht wirklich gut hier in meinen Schluchten. Heute weiß ich nun auch, warum. Weil mein Gorbi tot ist. Jetzt müssen wir uns selber helfen, denn ein neuer Gorbi ist nicht in Sicht. Schon seit Monaten beschäftigt mich die Frage, ob wir nicht vielleicht einfach in die verkehrte Richtung schauen, am falschen Ort suchen. Ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass ein neuer Gorbi nicht von Oben, und auch nicht aus dem System kommen wird. Man stelle sich nur für einen Moment Klaus Schwab als Gorbi-Nachfolger vor, zu dem die Menschen “Schwab hilf!” rufen – ausgeschlossen. Auch deswegen bin ich immer mehr davon überzeugt, dass der neue Gorbi von unten kommt. Möglicherweise ist er ein Trucker. Oder eine Krankenschwester. Vielleicht auch ein Taxifahrer. Am Ende wird es aber wie immer sein, und zwar dass wir uns nur selbst helfen können.

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Bericht aus Bulgarien (269) – “Man Without Wishes”

Kühlregal im Supermarkt “Arm oder Reich”

Es gibt zwar weiterhin Angebot im Supermarkt, aber die Dinge, die im Angebot sind, sind jetzt immer ausverkauft. Vor ein paar Wochen war das noch anders, da war ich praktisch der einzige, der Angebotsware gekauft hat. Zum Beispiel obigen Yoghurt im 400 Gramm Becher mit 3,6 Prozent für 1,09 Lewa anstatt für 1,55 Lewa. Ich wünschte, es wäre anders, aber ich muss wohl dem Beispiel meines englischen Freundes Jerry folgen, der am liebster Deutscher wäre und den ich gestern im Café “Vegas” in Varshetz traf, wo Dienstags immer Basar ist. Hatte mein Freund Jerry früher immer nur gesagt: “I own nothing, I know nothing and I’m happy”, so fügt er dem jetzt immer öfter hinzu: “I’m a man without wishes.”

PS: Auch in Sachen “Deutscher sein” habe ich bei meinem englischen Freund Jerry eine Veränderung festgestellt. Da sagte er gestern, dass er auch diesen Wunsch nicht mehr hätte, was so weit OK gewesen wäre für einen “Man without wishes.” Als ich nachfragte, bekam ich zur Antwort, dass der Wunsch Deutscher zu sein verständlich und nachvollziehbar sei. Wenn man es am Ende aber ist, oder besser: sein muss, weil man nicht die Wahl hat, dann sei es für ihn, auch angesichts solcher Geschichten, das Schrecklichste, was er sich vorstellen könne.

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Bericht aus Bulgarien (268) – “Deutschland – nicht mehr mein Land”

Graefestraße – früher Kreuzberg – heute Friedrichshain-Kreuzberg
 By The Genius Mind Of Balkansky
Im Original lässt das kleine Mädchen einen Ballon fliegen. Ich habe mir im April vergangenen Jahres erlaubt, das bekannte Werk dem aktuellen Geschehen anzupassen, es zu verbessern. Das passiert regelmäßig mit Kunstwerken, in letzter Zeit werden sie allerdings nur ins Neusprech übertragen. So einfach hab’ ich es mir nicht gemacht. Ich habe mir noch Gedanken gemacht, habe vor allem selber gedacht und mit meinen Händen meinem kreativen Denken Ausdruck verliehen. Jetzt ist die Geschichte dazu aufgetaucht, was Kunst bewirken kann, wenn sie Dinge sieht, die andere nicht sehen. Also genau das, wozu Kunst da ist. Es ist die Geschichte von Menschen, die ihre Masken fliegen lassen haben. Dass die beschriebenen Fälle authentisch sind, da bin ich mir sicher. Genauso sicher bin ich mir, dass es die dargestellten Fälle in Bulgarien nicht gibt. Es ist und bleibt etwas typisch deutsches, so denke ich, wenn beispielsweise eine im achten Monat schwangere Frau mit zwei kleinen Kindern früh um sieben von acht bewaffneten Polizisten in Schutzwesten Besuch bekommt. Ich weiß nicht, wie es dir mit den drei Geschichten geht, ob du sie siehst, ob du dir überhaupt erlauben darfst, sie zu sehen. Oder ob nicht auch du zu den Leuten gehörst, für die diese Fälle nicht existieren, weil du nichts von ihnen weißt, nichts von ihnen wissen willst. Möglicherweise weil du auch nicht weißt, dass sich Informationen zu besorgen eine Holschuld ist, dass sie einem nicht gebracht werden. Vielleicht wirst auch du am Ende zu denen gehören, die wieder einmal von nichts gewusst haben. Das ist sogar sehr wahrscheinlich. Ich kann dazu nur sagen: Das ist nicht mehr mein Land!

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