Bericht aus Amerika (009.1) – “Small is beautiful”

Hälfte weg

Nach einem Tag ist die Hälfte des Holzes weg, das ich gestern an die Straße gelegt hatte. Immerhin, das ist mehr als ich erhofft habe. Merkwürdig nur, dass die großen Stücken noch da sind. Warum derjenige, der die Hälfte des Holzes genommen, die kleinen den großen Stücken vorgezogen hat, kann ich nicht sagen. Ich habe niemanden gesehen. Was ich sagen kann, ist, dass es in Bulgarien genau umgedreht gewesen wäre, wie in Bulgarien immer alles umgedreht ist. Oder soll ich schon sagen, dass in Amerika immer alles umgedreht ist? Beides stimmt jedenfalls.

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“Wir sind alle Teil eines historischen Experiments”

Endlich wieder Stacheldraht!
Coach Jo = Joseph Biden?
Erfahre gerade, dass wir alle Teil eines historischen Experiments sind. Das wurde auch Zeit, immerhin habe ich an dem letzten Experiment nicht teilgenommen. Und weil ich dafür tüchtig ausgegrenzt wurde, will ich jetzt wieder dabei sein. Das sozialistische Experiment, an dem ich auch teilnahm, ist schon zu lange her. So richtig kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Erinnern kann ich mich an das Motto “Keine sozialistischen Experimente!” der CDU danach. In seinem aktuellen Artikel “Wir sind alle Teil eines historischen Experiments” fragt der Spiegel: “Haben die Notenbanken aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt?” Die Antwort, die man in Hamburg leider nicht weiß, lautet: Nein! – Sonst wäre es kein Experiment. Meine Frage ist, ob bald “Keine historischen Experimente!” Aufkleber die Runde machen, nachdem “Keine Mengele Experimente!” ausgeblieben sind.
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Bericht aus Amerika (009) – “Bulgare oder Zigeuner”

In Kalifornien darf, im Gegensatz zu Bulgarien, nicht jeder einfach sein Holz verbrennen, selbst wenn es die eigenen Bäume sind, die der Wind umgeknickt hat. Um es im Garten beispielsweise als Lagerfeuer zu verbrennen, muss man vorher bei der Umweltbehörde anrufen und um Erlaubnis bitten. Dasselbe gilt, wenn man es im heimischen Ofen verfeuern will, obwohl es dort niemand mitkriegen dürfte, der einen anzeigen könnte. Deswegen lässt man im Normalfall sein eigenes Holz gegen Geld von der Stadt abholen. Geld, dass man gerade jetzt gut gebrauchen könnte, um Holz zum Heizen im Baumarkt zu kaufen. Natürlich kein richtiges Holz, sondern Pellets oder Briketts. Diese zu verbrennen, ist dann wiederum erlaubt. Einem Halbbulgaren wie mir, will das nicht einleuchten. Und so habe ich durchgesetzt, das Holz an der Straße für umsonst anzubieten, um so zumindest die Kosten fürs Abholen zu sparen – bisher allerdings ohne Erfolg. Noch niemand hat unser Holz mitgenommen und vermutlich bleibt es auch dabei, denn allen anderen geht es genauso. Was dagegen passieren kann, ist, dass wir ob unseres unkonventionellen Vorgehens bald als Bulgaren enttarnt oder gar als Zigeuner bezeichnet werden.

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Bericht aus Amerika (008) – “Abfall Management”

“weiss auf grün”

Was in Berlin die “Berliner Stadtreinigung” (BSR) ist, ist hier das “Waste Management” (WM). Auch die Farben sind anders. Die BSR ist orange, das WM grün, weswegen ich immer sogleich an die Grüne Partei in der Heimat denken muss. Wenn ich es richtig verstehe, ist diese gerade dabei sich selber zu entsorgen. Letzten Sonntag lag sie mit nur 15 Prozent bereits hinter der AfD, die gleichauf mit der SPD bei 18 Prozent liegt. Die AfD konnte zwei Prozent hinzugewinnen, die SPD Null und die Grüne Partei verlor sogar ein Prozent. Wenn der Trend anhält, ist sie morgen in 14 Wochen bei Null angekommen, was Sonntag der 17. September wäre.

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Bericht aus Amerika (006) – “Sexneid und Sexwut”

Bereits im Jahre 2020 hatten 17 Prozent der Deutschen überhaupt keinen Sex. Bei den Singles waren es sogar 39 Prozent. Seither dürfte sowohl die Anzahl der Singles, als auch die Zahl derjenigen, für die Sex ein Fremdwort ist, weiter gestiegen sein. In Zeiten, in denen immer weniger Menschen Sex haben, wächst die Wut auf die, die noch welchen haben. Das ist keine Überraschung. Und auch nicht, dass die Wut auf Sechzigjährige, die sogar Sex mit jüngeren Frauen haben, am größten ist.

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Bericht aus Amerika (005) – “Ich als Bademeister”

Auch in Amerika herrscht Fachkräftemangel. Experten aus Europa sind jederzeit willkommen. Insbesondere Menschen, die noch fähig sind, mit ihren Händen zu arbeiten. Das ist zumindest meine Erfahrung. Mein theoretisches Wissen und praktisches Können als Mineralwasser- und Schlammbadspezialist habe ich in Bulgarien erworben. Mein Freund, der Bürgermeister, hat es mir attestiert. Schriftlich – versteht sich! Auch in Bulgarien hat alles seine Ordnung. Dort, in den Schluchten des Balkans, habe ich mich um Mineralwasserbecken gekümmert. Hier, in den Foothills der Sierra Nevada, habe ich heute ein Heilschlammbad von Algen befreit. Am Samstag startet die Schlammbadesaison – mit mir als Bademeister.

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Bericht aus Amerika (004) – “Denken an Bulgarien”

Mattias Desmets Buch “Die Psychologie des Totalitarismus” wurde mir vor meiner Abreise von einem guten Freund in der Heimat empfohlen. Gerade habe ich es ausgelesen, und ich kann es nur wärmstens weiterempfehlen. Über den Inhalt des Buches möchte ich an dieser Stelle nichts weiter schreiben, weil ich noch eine Rezension zu schreiben beabsichtige, auf die ich hier auf meiner Seite hinweisen werde. Was ich verraten möchte, ist, warum mich Desmets Buch an Bulgarien denken lässt. Es ist dieses Zitat auf Seite 148: Wenn führende Nazis längere Zeit in Ländern stationiert waren, die sich gegen die Massenbildung immun erwiesen, wie Dänemark oder Bulgarien, geschah etwas Typisches: Sie begannen, an der Sache, der sie dienten, zu zweifeln, und das Naziregime konnte sich nicht mehr auf sie verlassen. Mit anderen Worten: Sie wachten auf. Auch weil ich den beschriebenen Vorgang am eigenen Leibe erfahren habe, kann ich jedem das kleine Land am Rand nur ans Herz legen – vielleicht noch mehr als das Buch von Desmet.
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Bericht aus Amerika (003) – “Mein Leben in der Natur”

In Amerika lebe ich wie in Bulgarien in der Natur. Werde ich in den Schluchten des Balkans von Hunden und Schakalen geweckt, sind es hier in den Bergen der Sierra Nevada in Kalifornien Rehe, die im Vorgarten nach Futter suchen. Wie es aussieht, war es heute morgen eine Rehkuh (der Fachbegriff dafür ist Ricke – wird gerne im Kreuzworträtsel gefragt), also ein weibliches Tier, dessen Euter ganz angeschwollen ist. Das Euter ist das, was beim Menschen die Brust ist, und die auch bei der Frau Milch für ihr Kleines produziert. Gleichzeitig ist ihre Brust ein sekundäres Geschlechtsmerkmal und Objekt männlicher sexueller Begierde – am Ende “nur” eine Drüse. Auch hier in Amerika bin ich Frühaufsteher, 6:30 Uhr ist meine Zeit. Mein Jetleg hält sich diesmal in Grenzen, ich habe auf dem Hinflug eine Melatonin-Tablette genommen. Ich nehme sonst nichts, Nullmedikation sozusagen, außer gelegentlich etwas Acetylsalicylsäure (ASS) gegen Kopfweh, also warum nicht mal Melatonin ausprobieren. Bei mir hat es funktioniert, ich kann es empfehlen. Der Zeitunterschied zwischen Berlin und Kalifornien beträgt neun Stunden. Mein letzter Beitrag und dieser sind in Europa am selben Tag erschienen, am 6. Juni. Hier in Kalifornien lag eine Nacht dazwischen. Den letzten Bericht habe ich gestern Abend verfasst, es war hier noch der 5. Juni. Um wie gestern zum Second Hand Book Shop nach Downtown zu kommen, braucht man ein Auto. Downtown ist etwa drei Meilen entfernt und nicht so wie in Bulgarien einen Kilometer. Die meiste Zeit verbringe ich auch hier in der Natur, arbeite ich im Garten. Als nächstes werde ich wohl das Gras mähen, auf dem die Ricke mit dem großen Euter eben noch stand.

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Bericht aus Amerika (002) – “Travel Teaser”

In my favorite Second Hand Book Shop

Kaum in Amerika angekommen, war ich schon im Buchladen. Das zeichnet einen richtigen Büchersüchtigen aus. Ich war aber nur kurz drin, etwa eine Stunde. Mehr Zeit hatte ich nicht, ich musste noch ein paar Leute interviewen. Als ich ging, versprach ich wiederzukommen. Vorher versicherte ich, dass ich den Laden lieben würde. Und das war nicht mal übertrieben – im Gegenteil. Am liebsten würde ich selbst dort meine Bücher verkaufen. Vielleicht kommt das noch. Irgendwann. Auf jeden Fall werden weitere Berichte über den Second Hand Book Shop folgen. Es ist eine Kooperative von acht Book Dealern. Der Laden hatte auch im Lockdown geöffnet, wie ich erfuhr. Insgesamt war er nur zwei Wochen geschlossen. Dann hat man die Polizei angerufen und gesagt, man müsse öffnen, um Bücher zu verkaufen, damit man die Miete bezahlen kann. Dann solle man dies tun, meinte die Polizei. Darüber hinaus versprach sie, nichts zu unternehmen. Und so war es dann auch.

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