Bericht aus Bulgarien (306) – “Charlys Bügelbrett”
Seit Wochen, um genau zu sein seit Monaten, war ich auf der Suche nach einem Bügelbrett. Gestern bin ich nun endlich fündig geworden, und zwar bei Kaufland in Montana. Doch der Reihe nach. In Bulgarien gibt es, was die Kleidung angeht, eine strenge Ordnung, strenger als in Deutschland, zumindest in der Stadt. Auf dem Dorf, wo ich wohne, gibt es diese Ordnung auch, wird aber nicht so streng gehandhabt, weswegen ich lange Zeit der Meinung war, ich bräuchte kein Bügelbrett. Ich muss dazu sagen, dass ich mir vor Wochen schon ein Bügeleisen auf dem Flohmarkt gekauft hatte. Anfangs war ich der Meinung, dass es damit getan sei. Aber mein englischer Freund Jerry, der lange bei der britischen Armee war und am liebsten Deutscher wäre, wurde nicht müde mich darauf hinzuweisen, dass ich auch ein Bügelbrett brauchen würde. Denn Jerry setzt die bereits erwähnte bulgarische Ordnung so perfekt um, wie kein Bulgare, nicht mal eine Bulgarin, obwohl er auf dem Dorf wohnt wie ich. Jerry ist der best gekleidetste Mann in Bulgarien – das ist keine Übertreibung. So etwas besonderes, wie es sich anhört, ist es nun aber auch wieder nicht, denn die meisten bulgarischen Männer sind gekleidet wie die Männer in Neukölln. Die eingangs erwähnte Ordnung trifft vor allem auf die bulgarische Frau zu und meint die strenge Unterscheidung zwischen Klamotten für zuhause und für draußen, also “indoor” und “outdoor” sozusagen. Männer haben dafür hier auch verschiedene Klamotten, aber sie unterscheiden sich halt kaum. Es sind in gewisser Weise alles schlabbrige Jogginganzüge, nur dass der eine eben ein bisschen besser aussieht als der andere, oft aber auch nicht. Zurück zu Jerry, der wie gesagt “The Best Dressed Man In Bulgaria” ist, und der meine Leidenschaft für Klamotten wieder entfacht hat, die tief in mir schlummerte. Vor allem deswegen habe ich mir so viele phantastische Klamotten in den zahlreichen bulgarischen Second Hand Läden gekauft, zum Beispiel Wollhosen für den Winter, einen Kashmir-Mantel und auch einige Hemden und Pullover. Alles war so gut wie neu, manches war sogar neu, und alle Teile haben nur kleines Geld gekostet. Einige Hemden kosteten weniger als ein Lew, die Wollhosen “Made In Italy” gab’s für 10 Lewa das Stück und den Mantel aus Kashmir für 17. Erst einmal brauchte ich Klamotten, weil viele immer noch in Berlin sind. Es fand bei mir aber auch eine Suchtverlagerung statt, und zwar vom Alkohol, den ich nicht mehr trinke, hin zu Klamotten, die nicht unerwähnt bleiben soll. Vor allem macht es mir aber Spaß, auch in Ermangelung von guten Flohmärkten in Bulgarien, stundenlang in Second Hand Klamotten Läden zu stöbern. Einmal war ich sogar mit Jerry dort, und da habe ich mir neue Leder-Boots von Bugatti für 40 Lewa gekauft. Die Dinger sollten eigentlich 250 Euro kosten und sind praktisch die Waschmaschine, die andere sich gerade in den Keller stellen. Jerry meinte auch, dass ich zuschlagen soll, weil ich mir solche Teile wohl nie leisten kann als Autor. In dem Punkt bin ich mir nicht sicher, und Jerry auch nicht wirklich. Er plant nämlich schon ein Buch über mich zu schreiben, wie er mit dem berühmten halb-bulgarischen und halb-deutschen Schriftsteller durch die Second Hand Läden des Balkans gezogen ist. Der Arbeitstitel ist “Spaziergänge mit dem Desillusionisten”, mehr will ich aber nicht verraten. Was ich noch sagen will, ist, dass das Bügelbrett ein echtes Schnäppchen war, denn es hat nur 10 Lewa bei Kaufland gekostet, wohin ich nicht nur wegen der deutschen Ordnung immer wieder gehe. Das Bügelbrett ist übrigens “Made in Vietnam”, weswegen ich sogleich an “Apocalypse Now” denken musste, wo zwei amerikanische Soldaten während des Krieges in Vietnam gegeneinander surfen sollten. Beiden hatten sie Angst aufs Wasser zu gehen, weil ja Krieg war und der Vietnamese, den die Amerikaner “Charly” nannten, auf sie schießen könnte. Der Hauptmann, der auch einer Vaterfigur für die beiden war, hat sie mit dem Hinweis beruhigt, dass “Charly” nicht surfen würde. Und nun habe ich ein Bügelbrett vom Vietnamesen. Das fühlt sich richtig gut an. Am Ende möchte ich noch sagen, dass ich nicht die Absicht habe, Jerry vom ersten Platz des “Best Dressed Man In Bulgaria” zu verdrängen. Mir reicht der zweite Platz vollkommen aus. Ich bin schon froh, wenn ich demnächst Hemden tragen kann, die nicht völlig zerknittert sind. Vielleicht komme ich aber doch noch auf den Geschmack und versuche Jerry Paroli bieten. Jetzt wo ich darüber schreibe, kann ich mir das sogar absolut vorstellen. Wenn, dann aber erst im nächsten Jahr, und mit dem Spruch von Lieutenant Colonel Bill Kilgore aus “Apocalypse Now” auf den Lippen: “Es roch nach Sieg!”
Foto&text TaxiBerlin