Bericht aus einem aus der Zeit gefallenen Land (003)

Irgendwo in Berlin

Gerade lese ich “Friedensfähigkeit und Kriegslust”, das neue Buch von Hans-Joachim Maaz, den ich im Sommer interviewt habe. Das Interview ist unter dem Titel “Es ist ein Kulturkampf” auf Multipolar und bei Radio München erschienen. In Deutschland sollen einige den Begriff “Kriegslust” für übertrieben halten. Angesichts von Aufrufen wie “Kill Putin!” bin ich mir nicht sicher. Man kann “Kill Putin!” auch als Teilaspekt von “Kill All Men” verstehen. “Kill All Men” klingt jetzt nicht gerade besonders friedfertig. Ist es bereits “kriegslüstern” oder “nur” ein einfacher Mordaufruf? – Aber ist es denn nicht so, dass auch “Men’s Lives Matter”?

PS: Putin wird übrigens morgen am G20-Gipfel teilnehmen, also gemeinsam mit den uns Regierenden an einem Tisch sitzen. – Wie alle anderen allerdings virtuell.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus einem aus der Zeit gefallenen Land (002)

“We are lucky!” sagt mein englischer Freund Jerry immer zu mir. Jerry, der am liebsten Deutscher wäre, lebt seit fast fünfzehn Jahren permanent in Bulgarien und muss es wissen. Und es stimmt wirklich, aber nicht nur das. Mir geht es genauso wie Jerry. Dies fällt mir jetzt besonders auf, wo ich zurück in Berlin bin. Obwohl hier, anders als in Bulgarien, kaum die Sonne scheint, ist niemand geblendet von der Sonne, die mir aus dem Arsch scheint. Genau das Gegenteil ist der Fall. Gestern z.B. wollte ich mit einem von ihnen spazieren gehen. Nach nur einhundert Metern konnte er nicht mehr, musste er zurück nach hause. Chronische Erschöpfung gepaart mit Depressionen und Angstzuständen ist nur eine kleine Auswahl seiner zahlreichen Diagnosen, die er mir voller Stolz aufzählt. Er steht damit nicht alleine. Viele sind so runtergezogen, dass sie nur noch nach unten schauen. So können sie die Sonne natürlich nicht sehen, wenn sie einem anderen aus dem Arsch scheint.

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Bericht aus einem aus der Zeit gefallenen Land (001)

Gestern den ganzen Tag vorm Radio gesessen und auf die Fragen gewartet, die andere lieber auslassen. Leider vergeblich. Heute morgen fiel mir ein, dass ich RadioEins vom RBB bereits in meinem Taxi nicht mehr gehört habe. Dazu muss man wissen, dass es einige Jahre her ist, dass ich kein Taxi mehr fahre. Schon damals hat weder RadioEins, noch das InfoRadio ebenfalls vom RBB irgendwelche Fragen gestellt, die andere lieber auslassen. Ich frage mich, wie man beim RBB zu dieser Annahme kommt. Möglicherweise nur zu Werbezwecken. Vielleicht ist es auch die Idee der “Szeneplakatierung”. Auf jeden Fall passt das Wort zum Motto des RBBs: “Fragen, die andere lieber auslassen”. Abends ist mir eingefallen, dass ich noch gar nicht meine Zwangsgebühren fürs vierte Quartal für ÖffentlichRechtlich bezahlt habe. Das habe ich dann gleich nachgeholt. Ich will ja keinen Ärger. Vor allem brauche ich meine Ruhe. Lieber warte ich den ganzen Tag vergeblich vorm Radio. Gerade höre ich – wie bei mir im Taxi – klassische Musik von CD, erst Mozart, dann Bach. Danach höre ich gar nichts, um mir in Ruhe die Fragen, die andere lieber auslassen, selber zu stellen und auch zu beantworten.
PS: Das andere Motto von RadioEins “Nur für Erwachsene” stimmt auch nicht. – Mein Vorschlag: “Nur für nicht erwachsen gewordene Erwachsene”.

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Ankunft in einem aus der Zeit gefallenen Land

Gestern am Flughafen BER

Erst ist er jahrelang nicht fertig geworden, der neue Flughafen vor den Toren Berlins, und nun ist in ihm auch noch die Zeit stehen geblieben. Bis gestern dachte ich, Deutschland und mit ihm die deutsche Hauptstadt wären Bulgarien nur um eine Stunde hinterher. Spätestens bei der Ankunft in der Zentrale des deutschen Irrenhauses wird klar: Deutschland ist aus der Zeit gefallen. Aber der Reihe nach. Erst standen die aus Sofia kommenden Fluggäste im Flughafengebäude vor einer verschlossenen Tür, die einfach nicht aufgehen wollte. Irgendwann kam die Putzfrau und meinte, dass wir zurück und zur Pass-Kontrolle müssten. Bulgarien gehört bekanntlich nicht zum Schengen-Raum. Immerhin, die Putzfrau war auf dem aktuellen Stand. An der Pass-Kontrolle dann obiges Hinweisschild von vorgestern, das ich, ginge es nach der Einweiserin, nicht fotografieren sollte. Da ich kein Verbotsschild sah, fragte ich nach. Na wegen Grenze und so, aber das Schild dürfe ich natürlich fotografieren, so die Antwort der Einweiserin. Die Pass-Kontrolle verlief problemlos, was wohl mit daran lag, dass die Herren von der Bundespolizei überrascht waren, dass sie in korrektem Deutsch angesprochen wurden. Danach musste ich nur noch die Gepäckausgabe finden, was gar nicht so leicht ist im Labyrinth des neuen, aber aufgrund der Bauzeit von gefühlt einhundert Jahren bereits veralteten Flughafens. Als ich endlich das Gepäckband gefunden hatte, befand sich nur noch ein Gepäckstück auf ihm: meins. Dann weiter zur Bahn. Vorher einen Fahrschein kaufen. Erste Kommunikationsversuche mit einem Fahrscheinautomaten, was selbst für einen Muttersprachler eine Herausforderung ist. Ein Fahrschein in die Stadt kostet vier Euro, was acht Lewa sind. In Sofia kann ich damit zwei volle Tage fahren. Als nächstes den richtigen Bahnsteig und einen Entwerter für den Fahrschein finden. Sicherheitsleute sprechen einen Flaschensammler an. Nachdem sie von ihm abgelassen haben, spreche ich sie an. Die Sicherheitsleute, die zum Flughafen gehören, sind dem Flaschensammler in den Bereich gefolgt, der zur Deutschen Bahn gehört, um ihm zu sagen, dass im Flughafen das Sammeln von Flaschen aus Abfalleimern verboten sei. Das stehe so in der Hausordnung. Wie es im Bereich der Deutschen Bahn ist, wo wir uns in dem Moment befinden, wüssten sie nicht. Sie seien aber keine schlechten Menschen, falls ich das glauben sollte, sie machen nur ihren Job. Den Eindruck habe ich auch, dass in Deutschland viel zu viele nur ihren Job machen, ihr Gehirn und die Menschlichkeit dabei ausgeschaltet lassen. Dass obiges Schild noch hängt, ist kein Versehen oder gar Hinweis darauf, dass jemand seinen Job nicht gemacht hat. Davon gehe ich jetzt mal aus. Sicher bin ich mir natürlich nicht. Vielleicht mangelt es auch wirklich einfach an Fachkräften für das Abschrauben von veralteten Hinweisschildern. Dass Leute nur ihren Job machen, ist man in Deutschland nicht nur gewöhnt. Man ist hier regelrecht Meister darin. Wohin das führt, ist bekannt.

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Zurück in Bulgarien (118) – “Kein Wetter in Berlin”

Das definitiv letzte Foto aus Bulgarien, zumindest für den Moment. Auch als Beweis dafür, dass hier jeder fährt, wie er will oder kann, auch auf dem Flughafen. Im Hintergrund übrigens das Vitosha-Gebirge, dessen Gipfel mit Schnee bedeckt sind. Gerade wird auf dem Flugplan das Gate für den Flug nach Berlin angezeigt: “C 1”. Wetter scheint es in der Hauptstadt nicht zu geben. Für alle anderen Flugziele erfährt man es, nur für Berlin nicht. Bin schon sehr gespannt, was mich erwartet.
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Zurück in Bulgarien (117) – “Auf Berlin verzichten”

Mein englischer Freund Jerry hat es sich nicht nehmen lassen, mich persönlich zum Flughafen zu fahren. Gleich nach dem Losfahren ist obige farbenfreudige Aufnahme entstanden. Auch wenn Jerrys Lenkrad auf der verkehrten Seite ist, fährt er auf der richtigen Seite der Straße. Das hängt, so denke ich, damit zusammen, dass Jerry am liebsten Deutscher wäre. Daraus wird wohl nichts mehr werden, zumindest nicht in diesem Leben. Immerhin, Jerry hat das Potenzial mein persönlicher Fahrer zu werden. Als ehemaliger Berliner Taxifahrer biete ich diesen Job nicht jeden an. Ob Jerry mein Angebot annimmt, will er mir bei meiner Rückkehr nach Bulgarien sagen. Am liebsten würde ich jetzt gleich hierbleiben. Mit der deutschen Hauptstadt halte ich es mit Thomas Bernhard: “Auf Berlin habe ich verzichten müssen”.

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Zurück in Bulgarien (116) – “Abschiede”

Abschiede sind die Hölle für mich. Aber sie gehören zu den Veränderungen dazu, die das Wichtigste im Leben sind. Ich empfinde tiefe Demut und aufrichtige Dankbarkeit für Bulgarien, dass ich hier sein kann, für die Menschen, aber auch für die Tieren, allen voran meinen geliebten Eseln. Bis Sonntag war ich im Tal der Esel in Südbulgarien gewesen, wo obige Aufnahme entstanden ist. Die Türen stehen dort immer offen für mich. Wann wurde mir das zum letzten Mal gesagt? Und wann Dir? Vor Berlin und Deutschland im Allgemeinen graut mir, obwohl ich aus Erfahrung weiß, dass es am Ende nur halb so schlimm ist. Man gewöhnt sich schneller als gedacht daran, dass intelligent aussehende Menschen, wenn sie den Mund aufmachen, nur Unsinn von sich geben. Auch das ist in Bulgarien umgedreht. Allen voran bei den Tieren. Esel lügen praktisch nie. Ihre Kommunikation ist immer ehrlich und direkt. Fällt mir gerade ein: der Dirigent aus Amerika hat beim Konzert in Montana jedes Stück erklärt. Zum letzten, der 6. Symphonie “Pastorale”, sagte er, dass Beethoven die Natur den Menschen vorgezogen habe. Das wusste ich nicht. Mir geht es da wie Beethoven. Alleine deswegen graut mir vor Berlin mit seinen vielen irren Menschen. Dann muss ich immer sogleich an Nietzsche denken, der meinte, dass der Irrsinn bei Einzelnen etwas seltenes – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel ist. – Das erleichtert die Abreise ein klein wenig.

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Zurück in Bulgarien (115) – “Geschenktip”

Aleko mit seinem Koffer auf dem Boulevard “Vitosha” in Sofia

Seit Tagen bereite ich meine Abreise vor. Mit schnell mal Koffer packen ist es dabei nicht getan, denn ich muss an tausend Sachen denken. Das schlimmste steht mir aber noch bevor: überall das Wasser rauslassen, was beim Boiler zwei Stunden dauert. Früher musste ich das nicht. Früher hatte ich kein Wasser im Haus. Da musste ich für jeden Teller, den ich abwaschen wollte, aus dem Haus rausrennen. Damals gab es nur vor dem Haus Wasser. Jetzt habe ich eine Dusche, zwei Waschbecken – eins im Bad und eins in der Wohnküche. Vor dem Haus gibt es auch ein Waschbecken. Das habe ich schon abgebaut. Die Batterie aus dem Auto ist auch ausgebaut. Diesmal habe ich keine Handbremse angezogen. Den Fehler habe ich im Frühjahr gemacht, und dann war bei meiner Rückkehr im Sommer das rechte Hinterrad blockiert. Keine schöne Sache. Aber eigentlich wollte ich auch über Aleko Konstantinow schreiben. Von dem habe ich zwei Bücher auf Deutsch herausgegeben. Zeitlich wurde in Sofia ein Denkmal eingeweiht. Jetzt nicht für mich, sondern für Aleko Konstantinow. Ich schreibe das, damit Du seine, besser meine Bücher kaufst. Immerhin steht Weihnachten vor der Tür. Du fragst Dich, warum du meine Bücher von Aleko Konstantinow kaufen sollst? Ich will es Dir sagen: Weil sie besser als jeder Reiseführer über Bulgarien und auch über Chicago sind, wo es bis heute wegen dem einen Buch von Aleko Konstantinow die größte bulgarische Community in den USA gibt. Es heißt “Nach Chicago und zurück”, das andere ist “Bai Ganju, der Rosenölhändler” – bis heute der bekannteste literarische Charakter der bulgarischen Literatur. Als ich am Dienstag wegen dem Stück “Holzfällen” von Thomas Bernhard in Sofia war, musste ich Konstantin gleich mehrere Exemplare von meinen Büchern in seinem Antiquariat “Ortograph” vorbeibringen, so groß ist die Nachfrage nach Aleko Konstantinow in Bulgarien. Du könntest also meine Bücher auch bei Konstantin in Sofia kaufen. Bei ihm sind sie allerdings teurer. Besser Du kaufst sie in Deutschland, dann kommst Du billiger.

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Zurück in Bulgarien (114) – “Ein Ami in Montana”

Gestern bin ich mit meinem englischen Freund Jerry, der am liebsten Deutscher wäre, nach Montana ausgeritten. Der Grund war ein Konzert der Symphoniker aus Vidin, der Hauptstadt der ärmsten Region im Nordwesten Bulgariens an der Donau. Das Konzert begann pünktlich auf die Minute um 18 Uhr im “Haus der Jugend”. Die Bulgaren werden immer Deutscher und die Deutschen immer bulgarischer. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch Jerry, der gerade von seiner Deutschlandtour zurück ist. Ich hatte hier darüber berichtet. Die Deutschen kamen Jerry bedrückt (depressed) und verstopft (constipated) vor. Ausserdem fahren sie nur noch alte Autos. Früher, als Jerry als Soldat der britischen Armee in Deutschland war, war das noch ganz anders. Da kauften sich die Deutschen alle drei Jahre ein neues Auto, und er kaufte die praktisch neuen Autos von den Deutschen für wenig Geld. Eine Zeit, an die sich auch Bulgaren noch erinnern können. Auch was Jerry über die Lufthansa zu berichten weiß, hört sich eher nach Bulgaria Air an. Die deutsche Lufthansa beklagte sich über die Instrumente, die Jerry und seine Kollegen von den Sofia Symphonikern mit ins Flugzeug mitnehmen wollten, was sie zuvor ordnungsgemäß angemeldet hatten. Das interessierte die Deutschen nun nicht mehr, der Flug sei ausgebucht. Nur, was haben die Musiker aus Bulgarien damit zu tun? Ein eher für den Balkan typisches Verhalten, und zwar das Schuld immer die anderen haben, ist nun auch flächendeckend in der Heimat angekommen, wenn sich selbst die Lufthansa seiner bedient. Oder, wie ich auch gerne sage: “Phase vier – Bestrafung der Unschuldigen”. Beim Bulgaren hat man damit schlechte Karten. Der ist dieses Verhalten gewohnt – und ignoriert es einfach. Damit ist der Deutsche regelmäßig überfordert, wenn er ignoriert wird, der dann rasch von einem ablässt. So auch in diesem Fall. Die Musiker aus Bulgarien wurden von der Lufthansa samt ihren Instrumenten befördert. Bevor ich’s vergesse: die Lufthansa ist Jerry auch dadurch aufgefallen, dass es das meiste auf der Karte nicht gab. Etwas, von dem man dachte, es sei mit der Interflug untergegangen. Doch zurück zum Konzert in Montana, das von dem Amerikaner Roland Davis dirigiert wurde. In Amerika hat man die Zeichen der Zeit offensichtlich erkannt. Die ersten von ihnen sind schon hier. Dirigieren konnte Roland Davis auch ganz gut. Für Jerrys Geschmack etwas zu amerikanisch, also zu dynamisch und mit zu viel Schwung. Für mich war das OK. Und der Roland kommt auch noch drauf, dass zu dynamisch und mit zu viel Schwung in Bulgarien nicht das richtige ist. Spätestens wenn er die zur Verfügung stehenden Kalorien mit seinem Verbrauch abgleicht.

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“A man of contradictions and a man of many moods”

Vor zehn Tagen hat Bob Dylan (82) in Boston gespielt. Leider habe ich zu spät davon erfahren, sonst wäre ich kurzerhand über den großen Teich gejettet. Ist ja heute Dank Doppelmoral kein Problem. Aber es gibt ein anderes Problem. Mir geht das Fliegen seit einiger Zeit ziemlich auf die Nerven. Jetzt nicht nur wegen den vielen stumpfen Menschen, sondern wegen den Schikanen, denen man ausgesetzt ist, und die sich offiziell Sicherheitsbestimmungen nennen. Auch ich “A Man Of Many Moods”. Wie viele anderen Konzerte kann man auch dieses nachhören, wenn man es verpasst hat. Die Aufnahme von dem Konzert am 5. November in Boston ist sehr gut. Es gibt auch keine verwackelten Amateurfilmaufnahmen, sondern schöne Bilder passend zu den Songs, die der Meister jedes Mal anders singt, wobei von Singen nicht die Rede sein kann. Bob Dylan, dessen “Rough and Rowdy Ways World Wide Tour” 2021 begann und die nächstes Jahr endet, ist als Nichtsänger bekannt. Immerhin, er will nicht Präsident werden. Das passende Alter hätte er.

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