Bericht aus Bulgarien (199) – “Meine Universität ist die Straße – manchmal aber auch YouTube”

Bisher war die Straße meine Universität, auf der ich auch Martin, meinen besten bulgarischen Freund kennengelernt habe. Das ist jetzt ein Jahr her, und es war am einzig verbliebenen Buchstand in dem kleinen Park vor dem Hotel “Rila” in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Dort war neulich auch mein erstes Business Treffen, und zwar auf dieser Sitz-Garnitur im Stadtteil “Drushba”, was auf deutsch “Freundschaft” heißt. Der ein oder andere erinnert sich, “Freundschaft”, also “Drushba”, war auch der Gruß der Freien Deutschen Jugend, der FDJ, in der DDR. Jede Gesellschaft hat ihre ganz eigene Sprache. Und jede Sprache drückt etwas anderes aus. Das ist mir noch nie so klar gewesen wie gestern, als ich mir obiges Interview mit Juni angehört habe. Juni studiert und verdient neben ihrem Studium ihr Geld als Escort. Darüber, also über ihre Erfahrungen als Escort, wird sie in dem Interview befragt. Und sie spricht darüber, als wäre es ein Vortrag an einer Universität, wo sie ja auch ist. Juni studiert und kann sich sehr gut ausdrücken, ist eine gute Rhetorikerin. Das eine bedingt nicht automatisch das andere. Es macht Spaß ihr zuzuhören, auch wenn es am Anfang etwas verstörend sein mag, wie sie über das Thema Escort spricht. Denn es ist eben kein wissenschaftlicher Vortrag, sondern an erster Stelle ihre persönliche Geschichte. Und zu der gelingt es Juni mittels der deutschen Sprache so eine Distanz aufzubauen, dass ich dies als Kunst bezeichnen würde. Das heißt nicht, dass ich das gut finde. So ist es nicht. Aber ich denke, dass dies nur die deutsche Sprache leisten kann. Und das, obwohl “intim sein”, wie Juni es formuliert, überall auf der Welt dasselbe ist. Da gibt es keine körperliche Distanz, nirgendwo. – Falls du eine andere Meinung hast, dann lass es mich wissen. Dazu musst du dir das Interview mit Juni anhören, was ich nur jedem empfehlen kann. Denn so wie ich im Taxi von jedem Fahrgast etwas gelernt habe, selbst wenn es der größte Idiot war, den man sich vorstellen kann, so kann man manchmal auch von YouTube etwas lernen. Davon bin ich felsenfest überzeugt.
PS: Das wichtigste habe ich auch bei diesem Beitrag wieder einmal vergessen. Dadurch, dass ich vorzugsweise am Abend und in der Nacht gefahren bin, hatte ich als Taxifahrer Kontakt zu Prostituierten und auch zu Escortfrauen, denn natürlich habe ich mich mit ihnen unterhalten, so wie ich mich mit all meinen Fahrgästen unterhalten habe, sofern sie nicht ihre Ruhe haben wollten, auch das kam vor. Was Juni sagt, ist so gesehen nichts Neues für mich. Wie sie es sagt, aber schon
Interview EscortJuni
Text TaxiBerlin

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